Es ist unmöglich, ADHS als Nicht-ADHSler zu verstehen, was genau das Problem bei der Hilfesuche ist

Ich bin ein 21 jähriger Student im 8. Semester, welcher ein qualvolles Leben hinter sich hat. Es ist geprägt von fehlenden sozialen Kontakten, Missverständnissen, impulsiven, irrationalem Verhalten, Süchten und mehr. Dennoch, trotz dieser qualvollen Umstände habe ich mein Abitur mit 1,0 abgeschlossen und danach ein Studium begonnen.

Das Problem ist, irgendetwas stimmt nicht, wenn scheinbar alles, was du tust, falsch ist. Nahezu mein gesamtes Verhalten, die Art, wie ich spreche etc. hat meine Eltern, und auch Freunde, immer in Rage gebracht. Und ich habe es nie verstanden. Von meiner Perspektive sah alles so rational aus, warum entsteht dann so ein gewaltiger sozialer Widerstand durch mein Sein?

Gleichzeitig wurden mir Faulheit, Inkompetenz, Charakterschwäche als negative Eigenschaften attribuiert. In meiner Kindheit war ich computerspielsüchtig, ich war handyspielsüchtig, ich war kaufsüchtig und mehr. Aber ich war mir bei vollem Bewusstsein, dass das Verhalten, was ich tue, nicht gut ist. Mein Verstand, die Logik, sieht seit meiner Kindheit eine Diskrepanz zwischen „Wollen“ und „Tatsächlichem Tun“. Ich denke „Ich spare diesen Monat Geld“ und gebe 5000 Euro in Handyspiele aus, wissend, dass es nicht gut ist.

Das ist ein Ausdruck eines Kontrollverlustes, eines Impulsverlustes über sich selbst. Wenn ich seit meiner Geburt Dinge tue, die ich nicht tun möchte, sage, denke, weil ich weiß, dass diese mir schaden, aber ich sie trotzdem nicht verhindern kann, dann liegt ein massives Problem vor: Ich kann mein eigenes Verhalten anderen gegenüber nicht erklären. Wie soll ich jemanden erklären, warum ich Geld aus dem Fenster schmeiße, obwohl ich bereits weiß, dass das nicht gut ist?

Sein eigenes Verhalten nicht erklären zu können ist gefährlich, da es sozial isolierend ist. Und so war meine Kindheit auch: Sozial isolierend. Freunde verstanden mich nicht, sogar meine Eltern verstanden mich nicht. Niemand verstand mich. Warum? Weil ich mein Verhalten nicht erklären konnte. Man könnte sagen, der Verstand, die Kognition sieht seit meiner Geburt qualvoll zu, wie das Unterbewusstsein alle Befehle des Verstandes ignoriert.

Diese Diskrepanz war mein Bewusstsein, dass es ein biologisches Problem gibt. Wenn ich mir bewusst bin, dass mein Verhalten unerklärbar ist, dann heißt das, ich habe ein Problem. Welches Problem das ist, wusste ich natürlich nicht. Aber es war ein Problem.

Da ich sozial inkompetent aufgrund meiner Diskrepanz zwischen Verhalten und Verstand war, versuchte ich es erst gar nicht, zum Therapeuten zu gehen. Ich ging direkt zum Psychiater. Ist auch nicht etwas, was viele Menschen tun oder sich trauen. Für mich war es der einzig richtige Weg.

Und hier trat bereits das erste Problem auf: Ich wurde nicht verstanden, da Nicht-Verstehen Teil meiner Problematik ist. Ein Teufelskreis. So wurde mir ungelogen 4 Mal Zwangsstörung diagnostiziert, und ich wusste, dass ist völliger Nonsens. Zwangsstörung ist, bewusst komische Gedanken, die jeder hat, auszuführen, und nicht einfach zu ignorieren.

Aber ich wähle eben nicht bewusst einen impulsiven Gedanken aus und denke „Ja, toll, 100 Euro aus dem Fenster schmeißen“, sondern im Gegenteil: Ich versuche mit aller Kraft bewusst, meine unterbewussten destruktiven Kräfte zu stoppen, und scheitere jedes Mal, weil es ein Verlangen, kein Gedanke ist.

Das ist keine Zwangsstörung. Man kann vielleicht das als Problem beschreiben von außen. Aber das setzt vorraus, dass mein äußeres Verhalten koherent mit meinem Selbstbild ist. Dies ist wie beschrieben nicht der Fall, ich identifiziere mich nicht mit meinem Verhalten, da ich dieses bewusst nicht für logisch halte. Natürlich sehe ich, dass ich es tue, ich bin nicht naiv. Aber ich sehe, dass mein Verhalten keines bewussten Gedankenprozesses entspringt, sondern einem Drang, und deswegen ist das keine Zwangsstörung.

Also nach der 5. Diagnose Zwangsstörung hat es mir gereicht. Ich stellte mich an die Brücke und wählte die 112. Ich sagte

„Ich kann nicht klar denken. Ich bin in diesem Zustand eine Gefahr für die Gesellschaft, da mein Verhalten unerklärlich ist. Entweder, sie geben mir irgendwelche Medikamente, damit das in meinem Gehirn aufhört, damit dieses irrationale Verhalten aufhört, und wenn sie mich fesseln müssen. Oder, ich springe von dieser Brücke“

Krankenwagen kam, und brachte mich in die Psychiatrische Abteilung der Uniklinik meiner Stadt.

Ich erklärte dem Chefarzt, dass ich nicht denken kann. Ich weiß, dass ich nicht denken kann, da ich Dinge tue, die ich mir nicht erklären kann, die nicht einem bewussten Gedankenprozess entspringen. Ich muss von Schizophrenie oder ähnlichem ausgehen, und es ist notwendig, dass Sie mich ruhig stellen, da ich eine Gefahr in diesem Zustand bin.

Der Chefarzt war von meiner Selbstreflektion im Zustand nach Kurz-Vor-Brücke-Springen beeindruckt, aber er meine weiterhin

Sie haben Zwangsstörung

Das Problem ist wieder gewesen: Unfähigkeit, mich zu verstehen, da Nicht-Verstehen Teil des Problems selbst ist, was ich zu lösen versuche.

Nach 3 Tagen Neuroleptika (die mich tatsächlich ruhiggestellt haben, aber mein Verhalten immer noch nicht erklärbar machten) wurde ich entlassen.

Wenn das eigene Verhalten unerklärbar ist, dann liegt ein Schluss nahe:

ADHS

ADHS charakterisiert sich durch mangelnde Impulskontrolle, man kann sein Verhalten nicht kontrollieren und erklären. Ich wusste, dass dies das Problem ist. „Charakterschwäche“ ergibt keinen Sinn, da ich mir von all meinem Verhalten und den negativen Konsequenzen bewusst bin, diese Dissonanz ist das Problem selbst.

So begab ich mich zur ADHS-Diagnose. Mir wurde ADHS-C diagnostiziert, mit der Erklärung, hohe Intelligenz hat diese in der Kindheit (Noten etc.) überspielt und sich nicht nach außen direkt sichbar geäußert, sondern eher als Problem innerer Natur, man kann sein Verhalten nicht erklären. Mir wurde Psychopharmaka und Therapie empfohlen.

Therapie. Mit 21 Jahren. Mit einem Gehirn, welches nicht „nicht normal ist“, es hat mich weit gebracht, aber auch nicht im Ansatz dem Durchschnitt entspricht. Intelligenz ist das Problem 1, ADHS-C das zweite. Man versetze sich in meine Lage und ist ein 11 jähriger Junge, der verzweifelt seinen Eltern erklären zu versucht, dass ich mir mein eigenes Verhalten nicht erklären kann.

Man könnte sagen, ich, der Verstand, bin zu schlau für mein merkwürdiges Gehirn bzw. Unterbewusstsein, was zu dieser kognitiven Dissonanz führt. Ich schreibe ein 1,0 Abitur und schmeiße gleichzeitig all mein Geld aus dem Fenster, wohl wissend, dass das nicht gut ist.

Ich nehme seit geraumer Zeit Elvanse ein, und langsam dämmert es mir.

Mein Gehirn hat die letzten 21 Jahre nicht durchschnittlich funktioniert. Ich würde sogar behaupten, es nicht normal funktioniert.

Denn jetzt kann ich mich auf einmal mit meinem Verhalten identifizieren. Mein Unterbewusstsein arbeitet jetzt für mich. anstatt gegen mich. Die Kognition ist nicht mehr durch ein metaphorisches schreindes Baby im Kopf beeinträchtigt.

Halten wir fest: Ich wurde in einer Welt geboren mit überdurchschnittlicher Intelligenz und einem Gehirn, was nicht durchschnittlich bzgl. Selbstregulation funktionert. Da Unerklärbarkeit meines Verhaltens gerade Symptom der Problematik ist, hat mich nie jemand in meinem Leiten verstanden, da sie mich ja nicht verstanden. Also war ich 21 Jahre gezwungen, mit einem dysfunktionalen Gehirn ein Leben zu führen und der Sündenbock für mein Unterbewusstsein zu sein.

Und nach 21 Jahren auf dieser Welt, in der ich nicht einmal weiß, warum ich existiere, kriege ich auf einmal Medikamente, die mein Gehirn durchschnittlich, funktional machen lassen.

Ich wage zu behaupten, es gibt nicht viele Menschen auf dieser Welt, die auch nur im Ansatz, im Ansatz seit Kleinkindalter davon überzeugt sind, dass ihr Gehirn nicht funktioniert. Ohne Intelligenz wäre ich nicht der Problemlösung weitergekommen, sondern mein Leid hätte sich für den Rest meines Lebens geäußert.

Ich wünsche niemanden, niemanden meine Erfahrung. Ich wünsche niemanden, niemanden 21 Jahre Leid mit einem zutiefst, wirklich zutiefst dysfunktionalem Gehirn. Ich wünsche niemanden, niemanden volles Bewusstsein, volles Unverständnis für sein eigenes Verhalten von morgens, bis abends, aber man kann nur zuschauen, wie das Unterbewusstsein sein Elend fortsetzt.

Was auch immer Leben bedeuten mag, ich habe alles gesehen.

Wirklich alles.

Was jetzt für den Rest meines Lebens kommt, ist nicht der Hauptteil, sondern der Epilog. 21 Jahre Dysfunktionalität kann man nicht wieder gutmachen, nicht im Ansatz. Das habe ich auch nicht vor. Ich gehe gestärkt aus dieser Situation heraus, da ich es erfolgreich geschafft habe, ein erfolgreiches Leben halbwegs bis hierhin mit einem dysfunktionalem Gehirn zu leben. Das sind Erfahrungen vieler Jahre, die mich jetzt in einen massiven Vorteil zumindest diesbezüglich nehmen.

Denn ich weiß jetzt, wie es sich anfühlt, nicht verstanden zu werden, weil es unmöglich ist, verstanden zu werden. Ich weiß jetzt, wie Kontrollverlust über sich selbst sich anfühlt. Ich weiß, wie völliger Hedonismus, völlige Hemmungslosigkeit sich anfühlt. Ich weiß, wie es sich anfühlt, nur zuschauen zu können, aber sein Leid nicht verhindern zu können.

ADHS-Medikamente machen mich jetzt zwar durchschnittlich, abgesehen von Intelligenz. Aber, sie werden mir niemals, niemals das nehmen, was ich unfreiwillig durchmachen musste.

Niemand.

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Bewegend, das zu lesen. Danke.

James T. Webb, Die Suche nach Sinn ist ein Buch, mit dem hier einige gute Erfahrungen gemacht haben.

Ich glaube an posttraumatisches Wachstum. An den guten Tagen. Wünsche Dir viele davon. 21 ist die erste Hälfte von 42.

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Wieder gut machen kann man die 21 Jahre nicht. Aber man kann sich mit seiner Vergangenheit versöhnen, ohne verbittert zu sein.

? :adxs_noidea:

Beitrag vom 04.04.2025:

Das sind gerade mal 6 1/2 Wochen.

Ich freue mich ehrlich für Dich, dass es Dir so gut hilft. Du wirst noch viele Erkenntnisse haben und auch noch viele Chancen.

Vielleicht kannst Du Dich doch irgendwann auf eine für Dich passende Therapie einlassen. Nicht jetzt. Das läuft nicht weg. Lasse Dir Zeit. Eine Therapie dient nicht dazu, Dir Deine Defizite aufzuzeigen, die du eh schon kennst. Sie dient auch nicht dazu, Dich „umzuprogrammieren“. Sie kann Dir helfen, Deine Vergangenheit aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten - wenn Du bereit bist, das zuzulassen. Wenn nicht, dann nicht. Du entscheidest. Es ist Dein Leben.

Ich wünsche Dir alles Gute für Deinen weiteren Weg!

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Hallo dein Text hat mich sehr angesprochen. Wir haben eben ein anderes Gehirn und durch das geringe Dopamin anfälliger für Süchte. Und es ist gut das du eine Therapie machst. Du kannst lernen mit deinen Eigenschaften besser umzugehen. Es ist ein Leidensweg der hinter dir liegt. Und du bist kein schlechter Mensch nur weil dein Gehirn anders funktioniert. Jetzt hast du die Gelegenheit dich neu kennen zu lernen. In Ruhe zu sortieren und dir Tools anzueignen die dein Leben leichter machen. Und den anderen Menschen unsere Welt zu zeigen oder zu erklären ist und bleibt schwierig. Vielleicht machst du dir Stichpunkte z. B. Prokrastination, Bedeutung usw…
Ich bin spät diagnostiziert und Versuche immer noch meiner Familie zu erklären, dass bei mir vieles anders läuft. Das führt zu Konflikten da ist keine Bereitschaft sich mit dem Thema zu befassen. Oder eine Spur Verständnis zu entwickeln. Vielleicht ist eine Selbsthilfegruppe in deiner Nähe. Die können dich vielleicht gut unterstützen. Wir sind anders aber nicht krank.
Wir sind anders und das ist gut so.

Liebe Grüße Franzi

Hallo, @Rexon112

Du redest von 21 Jahren leid.
Ich habe jetzt 60 Jahre Leid hinter mir. Unerkannt, Unbehandelt.
Ich will hier keine Wertung geben, denn Leid gegen Leid quantitativ abzuwägen, ist doof.

Rückblickend auf all die Jahre, ist eine gewisse Verbitterung geblieben, aber auch die Erkenntnis, dass ich mit meinen hohen Ansprüchen, ob sie nun intrinsisch oder extrinsisch waren, total überfordert war und bin.

Ich kann nur sagen, damals und in meinem Land, waren die Anforderungen einfach noch nicht so hoch, und es gab genug Nischen zum Überleben.
Ich brauchte die Strukturen und Grenzen von außen. Eine kleine überschaubare Welt.

Heute ist ein Mensch ohne Abi ja kein Mensch. :grin:

Und ich passe einfach Gehirntechnisch nicht in diese Welt.
Ich habe es ja probiert, wieder und immer wieder.
War wie Pinocchio, die keine Holzpuppe mehr sein wollte, sondern ein richtiger Junge.

Was bleibt?
Die radikale Akzeptanz meiner selbst. Ich passe mich nicht mit der Umwelt an, sondern versuche, die Umwelt für mich erträglicher zu machen.
Das heißt radikaler Minimalismus in allen Belangen:

  • Ansprüchen und Zielen
  • Haushalt
  • Soziale Kontakte (die verstehen es nicht)
  • Hobbys
  • Konsum
  • Grenzen erkennen und setzten. Das ist das schwierigste, und erfordert viel Selbstdisziplin.

Denn ich denke, selbst wenn ich Chefarzt in einer renommierten Klinik geworden wäre, als Beispiel, hätte ich, wenn ich das Ziel erreicht hätte, nicht mehr die Puste, für ein wirkliches Leben, und würde mich fragen, was mache ich hier eigentlich? Bin ich soweit gelangt, um meinen Minderwertigkeitskomplex zu überspielen?
Und wie viel Energie hat das gekostet? War es das Wert?

Das wird man sich fragen, wenn man in einem schicken Einfamilienhaus stehst, mit 50 Jahren, wenn man nicht schon vorher völlig ausgebrannt bist.

Ich für mich möchte meinen Frieden finden.
Das hat nichts mit Resignation zu tun, sondern die Realität anzuerkennen.

Wie sagte Ash im Film Alien zu Ripley, konfrontiert mit der Übermacht des Alien:

„Ich kann ihnen nichts vormachen, was ihre Chancen angeht, aber sie haben ein volles Mitgefühl.“

Das ist nicht zynisch gemeint, sondern ehrlich, denn wenigstens wir hier im Forum können uns einigermaßen verstehen. Draußen in der freien Welt sind wir doch nur dumm faul und unzuverlässig. Ob da irgendwelche Synapsen oder Dopamin eine Rolle spielen, ist doch für NTs die keine Ahnung haben, völlig belanglos.

Sie werten nach ihren Vorstellungen. Und sie sagen sich innerlich, na, was ich kann, das müssen doch andere auch auch schaffen!
Ja, nee, is klar.

Um beim Beispiel Chefarzt zu bleiben, ich bin überzeugt, dass Eckart von Hirschhausen seinen Arztberuf an dem Nagel gehangen hat aus derselben Erkenntnis.
Und er hat seine Nische in der Komik gefunden.

Gut, das fällt mir gerade zu deiner Thematik ein.

Lieben Gruß Hypo.

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ich glaub manche nt sagen einem das so oft, dass irgendwann, man es sich selbst sagt.

wobei ich mal irgendwo gelesen hatte, dass gerade menschen die selbst von neurodivergenz „betroffen“ sind, die „schlimmsten“: „was ich schaffe, müssen andere auch schaffen können“ sager sind. Manche sogar nach dem es mehrfach geknallt hat. Sogar noch nach dem großen knall während sie selbst danach nur noch durchs leben kriechen können.

keine ahnung obs an verbitterung oder mangelnder perspektivübernahme liegt, vielleicht auch an beidem, oder was auch immer.

Spielt beides vermutlich eine Rolle. Je schwerer und entbehrungsreicher der eigene Weg war und je länger man ihn durchgezogen hat, desto schwerer kann es auch zu akzeptieren sein, dass manche mit scheinbar ähnlichen Voraussetzungen ihn für sich als nicht so wertvoll und erstrebenswert erachten, um den Preis zu zahlen. Das heißt, die „Entsagenden“ sind ein lebender Zweifel an der Sinnhaftigkeit deines gezahlten Preises und deiner erbrachten Opfer. Ganz besonders dann, wenn sie insgesamt ihren Frieden damit gemacht haben. Diesen Sinn gilt es zu verteidegen, indem der Preis gerechtfertigt wird.

Das Beharren darauf, dass alles eine Frage des willens und der Anstrengung wäre, kann Selbstwirksamkeit verleihen und vom Resignieren abhalten. Die Vorstellung ist angenehmer, dass du deinen Erfolg aus eigener Kraft geschaffen hast und nicht durch Glück und Zufall. Unter Körperbehinderten gibt es das Phänomen auch, dass die besonders „fiten“ und erfolgreichen Goldkinder den weniger fiten Behinderten manchmal subtil vorwerfen, sie sollten sich mehr anstrengen (Sündenbockdynamik). Was nicht so super läuft in dem Bereich, z.B. Politik oder Ausgrenzung gegenüber Behinderten im Arbeitskontext, wird auf die Gruppe der „Unfiten“ geschoben nach dem Motto „Ohne die hätten wir einen besseren Ruf, wären erfolgreicher, hätten diese Probleme nicht usw.“

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Ich wollte mal sehen, ob Pseudo-Psychologe „Robin“ es auch so sieht.

Hab aber keine Lust, das alles zusammenzufassen.

Stattdessen teile ich einfach den Link zum GPT-Chat :adxs_crazy:

Nur sollte man ein totes Pferd nicht mehr reiten.

Auch das Phänomen ist mir bekannt, je mehr man in eine Sache investiert, umso weniger ist man bereit, sie loszulassen.
Man hat zu viel investiert.
Und hohe Verluste Schmerzen mehr als hohe Gewinne erfreuen.
So viel Küchenpsychologie.

Und es stimmt eben nicht, dass jeder seines Glückes Schmied ist, wenn die Voraussetzungen nicht da sind. Sei es genetisch oder Umwelt.
Dieser „American Dream of Life“ Schwachsinn, von wegen jeder könnte es schaffen, wenn er nur will.
Damit wird schön die Verantwortung auf die betroffenen abgeschoben:
„Selber Schuld, hättest dir deine Gene und das
Lebensumfeld besser aussuchen sollen, du Looser!“

Dabei wird zu oft vergessen, wie viel Glück im Spiel ist. Wenn du ein protegierendes Umfeld hast, hast du vielleicht noch Glück, viele haben es nicht.
Wie viele Asperger Autisten sind arbeitslos obwohl sie qualifizierte Akademiker sind?
Was machen sie falsch?

Gar nichts! Sie passen einfach nicht.
Und der soziale Spielraum ist halt sehr eng gefasst.

Akzeptanz heißt ja nicht Resignation für mich, sondern das was ist, anzunehmen und das Beste draus zu machen.
Realistisch sein. Das ist für mich auch mit viel Trauerarbeit verbunden. Und das muss ich auch noch lernen.

Das körperlich behinderte Menschen ihre Behinderung nicht überwunden haben, zeigt sich für mich darin, dass sie gerade in dem Sport wo sie eine Behinderung haben, absolute Spitze sein wollen. Mit Beinprothesen nicht nur normal laufen, nein, Spitzensportler im Sprinten sein wollen.
Traurige Menschen werden zum Clown, schüchterne Menschen ziehen sich die Lederjacke an.
Kann ich durchaus verstehen: dem Leben den
Finger zeigen.
Aber das ist Überkompensation, finde ich.
Und irgendwie ist man damit auch nicht glücklich. Wie viele Promis laufen zum Psychiater ?

Denn wir ADHSler bleiben Pinguine, auch wenn wir uns mit fremden Federn schmücken und Kraniche sein wollen.
Mit Medikation können wir so etwas ähnliches sein. Aber mal ganz ehrlich, richtig fliegen wie richtige Kraniche werden wir nie. Mit Medikation gleichen wir zwar unsere Defizite etwas aus, aber das wird dann gleich zur Norm, zur neuen Messlatte.
„Geht doch, warum nicht immer so?“

Und das ständige Maskieren bringt uns in den Burnout oder schlimmstenfalls eben auf die Brücke.
Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel.

So meine ich das.
Als ich noch jung war, hätte ich diese Sicht weit von mir gewiesen.
Da hatte ich auch noch Kraft.

Gruss Hypi.

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Wow, Hypi. Gefährlich gut geschrieben. Wirklich. So überzeugend, dass ich gerade beim Lesen fast etwas in Trance geraten bin und jedem Satz zustimmen wollte. Aber ist es nicht auch etwas Problem-Trance?

Ist ja alles hart erarbeitete Lebenserfahrung, keine Frage. Gleichzeitig könntest doch gerade Du Deine Geschichte auch ganz anders erzählen: als grandioses Comeback. Als Narrativ, dass sich kämpfen lohnt.

Was hast Du alles auf Dich genommen, damit Du da bist, wo Du heute wieder bist. BeWo-Gouvernanten und alles das.

Das ist hier der Thread von jemandem Anfang 20.

Du kannst Dir sicher vorstellen, dass ich als selbsternannte Honeymoon-Beauftragte bzw
:honey_pot: :last_quarter_moon_face:-Serienkillerin auch auf meinen Händchen sitzen musste, um nicht loszuschießen, dass 2 Monate Medikation noch nicht „geraume Zeit“ ist und überhaupt… „Komm Du mal in unser Alter“, usw.

Aber mit Anfang 20 kann und sollte man nicht einpacken und die Welt den Kranichen überlassen. Und eigentlich sollte man es auch nicht mit 60.

Dafür wissen wir auch zu wenig über die Zukunft. Jetzt ist nicht immer. Vielleicht kommt uns die KI zu Hilfe. Vielleicht haben wir in kurzer Zeit konstruktive persönliche Assistenten, von denen wir immer geträumt haben. Vielleicht gibt es neue Erkenntnisse und bessere Medikation. Gesellschaftlichen Wandel.

Hoffnung schmeißt den Frontallappen an. Wirklich. Ist wissenschaftlich erwiesen. Schon deshalb lohnt es sich, nicht aufzugeben.

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So ist es. Und ebenso lohnt es sich, sich realistische Ziele zu setzen, die zum eigenen Modus Operandi passen. Das ist zwar schwieriger, weil sich dafür die normalen Wege oder Laufbahnen nicht einfach kopieren lassen, aber auch interessanter. Resilienz und Frustrationstoleranz sind somit sehr hilfreich. Und nach Chancen und Wegen Ausschau zu halten, hält die Hoffnung am Leben. Diese Form von Pragmatismus und Akzeptanz hat mir eher sogar Hoffnung zurückgegeben (alles Mitte 20 passiert), weil ich so auf meine Art etwas beitragen kann, mit deutlich weniger Druck, mich ständig mit anderen zu vergleichen. Die Selbsthilferessourcen zu HB scheinen inzwischen auch mehr in diese Richtung zu tendieren, sogar ohne Körperbehinderung.

Und übrigens finde ich es wunderbar zu lesen, wenn die Medikamente bei jemandem so viele Ressourcen freigesetzt haben und vielleicht auch neue Hoffnung bringen. Da kann man nur alles Gute wünschen.

Das Thema Körperbehinderung ist kompliziert. Zum Einen ist das nur eine kleine Minderheit, die so ins Leistungsextrem geht, die ist aber hauptsächlich medial sichtbar (Selektionsfehler). Der Rest bleibt meist unsichtbar. Hinzu kommt, dass viele dieser Behinderungen erst im Laufe des Lebens erworben wurden, was noch einmal ganz andere Probleme mit sich bringt. Bei denen kann ich es sogar ein Stück weit verstehen, wenn sie mit aller Kraft versuchen, an ihrem bisherigen Status festzuhalten. Bei mir ist das von Geburt an so angelegt, ich kenne es nicht anders. Aber ich habe auch schon einen „Abenteurer“ kennengelernt, ein Sensation seeker, wie er im Buche steht. Der hatte mit 40 einen schweren Unfall bei einer Balonfahrt und ist daran erblindet und gehbehindert (kein Rollstuhl). Der hat überhaupt nicht daran gedacht, die Hoffnung zu verlieren, sondern der hat alles von Grund auf neu gelernt. Viele verlieren in solchen Situationen auch die Hoffnung und blenden das Problem komplett aus bis zur Verleugnung. Die weigern sich dann z.B. auch, Braille und generell Coping-Strategien zu lernen.

ignoriert mein verbittertes geschwätz,

hab nicht gesehen um was eigentlich ging. bei mir hats nicht mal für die realschule gereicht. bin auch nciht so leistungsfähig in der birne wie andere bzw. auch hier in dem fall.

in bewegung bleiben oder was auch immer. ihr macht das schon.

Wir müssten diese ML-basierten KI-Modelle mit Premium-Daten füttern, am besten Biodaten aus ökologischem Anbau und artgerechter Haltung. :wink: Das heißt, wir müssen ihnen die Welt von ihrer besten Seite zeigen. Das macht sich nicht von allein, würde also Perspektive bedeuten statt Resignation.

Wurde doch gar nicht ignoriert. @Tamaracha hatte darauf Bezug genommen.

Ich selbst hatte punktuell auf @Hypoborea geantwortet.

Und alles andere, was ich dazu jetzt eigentlich noch schreiben wollen würde… behalte ich besser mal für mich.

Ging hier nie um Schulabschlüsse oder Leistungsfähigkeit. Richte bitte Deiner Rejection Sensitivity aus, sie kann ihre Scheißprojektionen bei sich behalten.

Huch, hattest du das als Zynismus interpretiert? Die Option hatte ich gar nicht erst erwogen, sondern das einfach als Imperativ gelesen und beim Wort genommen. „Keine Chance für passiv-aggressiv“, sagt da mein innerer Coach. Um ehrlich zu sein mach ich mir in letzter Zeit manchmal ein ganz klein bisschen Sorgen um dich und deine Gemütsverfassung. :adxs_trost: Du bist mir nicht egal, ganz einfach.