Tür 5 spielt tatsächlich mehrheitlich im Badezimmer. Weitere Inspiration und Bestellungen zum Einbau in die Handlung nehmen die nicht ganz dichten Dichter immer sehr gern entgegen.
Danke für Euer sehr liebes Interesse und die Rückmeldung.
Tür 5 spielt tatsächlich mehrheitlich im Badezimmer. Weitere Inspiration und Bestellungen zum Einbau in die Handlung nehmen die nicht ganz dichten Dichter immer sehr gern entgegen.
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Tür 4: Manche Menschen sind es wert, dass man für sie schmilzt.
EST stand für „Elternsprechtag“. Das war das nächste Whiteboard-Rätsel, das Rike für Paul löste, als er sie besuchte. Sie wollte aber noch darüber nachdenken, ob Paul sie nächste Woche in der Schule vertreten sollte. Mit Blick auf Leni war der Termin optional, daher das Fragezeichen. Bei Niklas schien es aber diversen akuten Besprechungsbedarf zu geben.
„Ich muss hier so schnell wie möglich raus, Paul. Das bringt doch alles nichts. Zu Hause das ganze Chaos. Die Kinder brauchen mich. Ich muss dringend weiter aufräumen. Und hier ist auch nur ‚Bullshit Bingo‘ angesagt. Meine Bingo-Karte ist bald schon wieder voll.“
Sie spielte für Paul die Visite nach: „Naja, jeder ist mal abgelenkt. Mir ist neulich auch ein kleiner Fahrfehler auf dem Rennrad passiert. Ich habe im Anamnesebogen gesehen, bei Ihnen in der Familie gibt es Fälle von ADHS? Vielleicht waren Sie einfach kurz unaufmerksam?“
Rike vermied es, bei der Visite nochmal den Schneemann zu erwähnen. Das war aber zweischneidig, denn damit war nicht nur die Ursache des Sturzes noch offen, sondern vor allem die starke Unterkühlung bei der Einlieferung weiter ein medizinisches Rätsel. Bei so vielen Fragezeichen wurde die Verlegung auf eine normale Station noch verschoben.
Weil Rike noch an Monitore angeschlossen war, kam sich Paul bei dem Gespräch ein bisschen vor wie bei einer unfreiwilligen Befragung am Lügendetektor. Mit einem diskreten Seitenblick konnte er an Rikes Vitalwerten ablesen, was sie am meisten umtrieb. So einiges, offenbar: Wie die Kinder auf den Unfall reagiert hatten. Niklas’ Schulprobleme. Ordnung und Unordnung.
Rikes peinlich berührte Frage „Warst Du schon im Gästezimmer und im Keller?“ löste fast einen Herz-Alarm aus, bis Paul verneinte und sagte, er sei ohnehin auf dem Sofa eingeschlafen und sei ja auch nicht zum Schnüffeln oder für „Schöner Wohnen“ gekommen.
„Rike, so wie Du den Unfall beschreibst, klingt es für mich nach einer normalen Reaktion auf ein unnormales Ereignis.“
Paul fand eigentlich, er verdiente für diese Formulierung einen Orden in empathisch-diplomatischer Gesprächsführung, aber Rike verdrehte auch hier genervt die Augen.
„Ich war noch nicht fertig: Bullshit Bingo und eine plausible Unfallursache ändern leider erstmal nichts daran, dass jetzt Dein Bein heilen muss. Ein bisschen Ruhe, Reha und Physio: Sieh es wie die Auszeit von Luke Skywalker bei Meister Yoda auf Dagobah. Wenn Du hier raus bist und aus der Reha kommst, bist Du eine echte Jedi-Ritterin. Dann ist alles wieder leichter.“
Eigentlich hatte sich Paul popkulturelle Anspielungen, Film-Verweise, Bilder und Analogien in den letzten Jahren mühevoll abtrainiert. Zu oft verstand man ihn nicht. Und er verstand nicht, warum man ihn nicht verstand. Das machte ihn einsam.
Aber vor allem wenn er im Stress war, rutschten solche Erklärungen an seiner Impulskontrolle vorbei. Rike wusste immerhin, wer Luke Skywalker und Yoda waren. Ohne die Vermittlung dieser Star Wars-Basics hätte er ja als großer Bruder komplett versagt. Aber vielleicht hatte er das ohnehin: versagt und sie zu wenig unterstützt, zumindest in den letzten Jahren?
„Tut mir Leid, dass ich so lange nicht hier war, Rike. Ich habe in meinem eigenen Leben eben auch nicht alles im Griff. Ich habe Dir was zu schreiben mitgebracht. Mach mir eine Liste, wobei ich helfen kann. Wenn Du wieder auf den Beinen bist, kannst Du dann gern mein Leben aufräumen. Für andere ist es ja immer leichter. Ich komme später nochmal mit Leni, wenn das ok ist.“
Als Paul dann am Nachmittag Leni von der Schule zu ihrer Mutter fuhr, hatte er ihr auf der Fahrt zum Krankenhaus in groben Umrissen von dem Schneemann-Mysterium erzählt. Das war nötig, weil sie sich Sorgen machte, dass ihre Mutter immer noch nicht verlegt wurde.
Leni gab bei ihrem Besuch dann auch ihr Bestes, Rike aufzuheitern: "Du weißt doch, dass ich riesiger Fan vom Schneemann Olaf aus dem Film ‚Frozen‘ bin, Mama. Vielleicht hast Du an mich gedacht, als Du da lagst? Oder der Schneemann war Dein Schutzengel. Wie Olaf zu Anna in dieser Kamin-Szene sagt: „Manche Menschen sind es wert, dass man für sie schmilzt.“
Rike lächelte. Es war ja sehr süß und „ganz Leni, meine Große“, wie ihre Tochter da versuchte, eine gesichtswahrende goldene Brücke zu bauen. Aber unter dem Lächeln glaubte Paul auch ein „Nicht mal meine eigenes Kind glaubt mir!“ zu sehen. Das bestätigte auch der veränderte Herzschlag auf dem Monitor.
Sie hielten den Besuch kurz. Rike brauchte Ruhe. Als sie auf dem Krankenhausparkplatz zum Auto liefen, kam Paul dann eine Idee: „Was denkst Du, Leni. Fahren wir mal zusammen zum Tatort? Hältst Du das aus?“
„Tatort? Um dort was zu finden: Fingerabdrücke und DNA eines Schneemanns?“ Sie schüttelte den Kopf. „Mama war schon in den letzten Monaten verändert, Paul. Was, wenn sie einen Hirntumor hat oder so?“
„Den hätte man in der Bildgebung nach dem Unfall gesehen. Da war nichts.“
„Was, wenn … sie langsam verrückt wird oder psychotisch? Was machen wir denn dann?“
Paul ahnte, dass hinter der wachsenden Panik und den immer wieder aufsteigenden Tränen auch „Was, wenn ich auch mal werde wie sie? Was, wenn wir eine Familie von Irren sind?“ steckte.
"Leni, Deine Mutter hat fast ihr ganzes Leben die Erfahrung gemacht, dass niemand, insbesondere kein Arzt, ihre Wahrnehmungen je ernst genommen hat. Keine 24 Stunden nach Unfall und Vollnarkose läuft alles schon wieder in den gewohnten Mustern: Gesprächspartner auf Vorurteile abklopfen und ständig analysieren… Wem sage ich was und wie sage ich es, damit ich nicht in die falsche Ecke gestellt werde, aber gleichzeitig alle nötigen Fakten für die Anamnese benenne, ohne sie zu verfälschen.
Wir sehen da gerade den typischen Hochleistungsdenksport von Spätdiagnostizierten. Dabei sollte sie sich jetzt eigentlich erstmal nur auf ihr Bein konzentrieren."
Sie schwiegen auf den letzten Metern zum Auto. Das lag auch daran, dass Paul nicht mehr wusste, wo auf dem großen Parkplatz er den Wagen abgestellt hatte. Er blickte sich möglichst unauffällig um, bis das ständige Drücken auf die Schlüssel-Fernbedienung die Lichter des Wagens anschaltete und die moderne Technik Paul mal wieder aus seiner Verpeiltheit rettete.
„Ich denke, es kann für Rike jetzt wichtig sein, dass wir sie ernst nehmen und uns dort nochmal umsehen. Ich kann morgen auch allein hinfahren, aber vier Augen sehen mehr als zwei. Vor allem, weil ich ahne, dass Du mir einen jahrelangen Hyperfokus in Sachen True Crime Podcasts, CSI und Co. voraus hast. Und wie ich gerade gehört habe, bist Du zufällig sogar Schneemann-Expertin. Ich könnte mir keine bessere Dr. Watson wünschen.“
„Wer sagt, dass ich von uns beiden nicht Sherlock bin, Dr. Krampitz?“
„Darüber sprechen wir noch. So schnell gebe ich mich nicht geschlagen. Den Sherlock-Titel muss man sich verdienen, junge Lady.“
Er überschlug schnell im Kopf, wie voll und chaotisch wohl sein Kofferraum aussah. Es ging aber gerade. „Wir können dann vielleicht auch gleich Rikes Fahrrad ins Auto laden. Das hat wohl jemand von der Rettung da in der Nähe angebunden.“
Als Paul starten wollte, meldete sich wieder die Motorkontroll-Leuchte. Leni fragte ihn, warum „Motor kontrollieren lassen“ aufblinke und ob die Gefahr bestehe, dass gleich das Auto brennt.
„Ein bisschen Gefahr besteht immer. Aber nein, das ist nur … ein Emotional Support Car, Leni. Ganz neue Entwicklung unter Mitwirkung von Elon Musk. Wenn ich zu sehr am Limit lebe, merkt das Auto das über den Kontakt meiner Sitzbeinhöcker mit der Sitzheizung. Dann muss ich bei den Jungs in der Werkstatt zur Therapie. Gibt es auch für den Beifahrersitz, aber das Modul kostet extra.“
„Paul, Du bist ein neurodiverser Spinner.“
„Selber!“ Sie funkten endlich wieder auf einer Wellenlänge.
Welle! „Mist! Ich wollte Rike doch noch fragen, was die Welle in Julias Spalte am Sonntag heißt.“
„Sonntag hat Julia ihren Schwimmkurs, Paul.“ Und dann klang seine Nichte wie Pauls innerer Coach gestern: „Denk bei dem Whiteboard immer an das Prinzip von Okhams Rasiermesser: Von mehreren möglichen hinreichenden Erklärungen für ein und denselben Sachverhalt ist die einfachste Theorie allen anderen vorzuziehen. Habt Ihr denn gar nichts an der Uni gelernt? Da hättest Du statt acht Semestern auch die acht Staffeln von Dr. House gucken können. Da wird die Theorie von Okhams Rasiermesser mehrfach behandelt.“
„Ich habe leider kein Talent für einfache Erklärungen. Aber Dr. House habe ich vorsichtshalber parallel zur Uni angeguckt. Sogar mehrfach, keine Sorge.“
Leni kam jetzt auf Betriebstemperatur: „Das Fahrrad kann sich Niklas dann vielleicht ansehen. Der kennt sich damit aus. Vielleicht war ja was an den Reifen oder Bremsen? Wir könnten auch mal mit den Sanitätern sprechen und rausfinden, wer überhaupt den Notruf abgesetzt hat. Mama will sich da ja ohnehin noch bedanken, sobald es ihr besser geht.“
„Das ist der Spirit, den wir jetzt brauchen, Medical Detective Leni.“
„Nenn mich bitte Sherlock.“
Paul und Sherlock-Leni fuhren zu der Stelle, die Rike ihnen beschrieben hatte. Leni gab Paul Anweisungen, von was und wie er maßstabsgerechte Fotos machen sollte. Sie überlegte, ihren Klassenkameraden Malte um einen Überflug mit seiner Drohne zu bitten. Das verwarf sie dann zunächst, weil Malte wohl seit gestern nicht in der Schule gewesen war. Sie würde erstmal nur mit Sattelitenbildern aus dem Netz arbeiten, wenn nötig.
Paul wusste noch nicht, ob es mittelfristig eine gute Idee gewesen war, aber Leni schien wenigstens in ihrem Element und benutzte gerade andere Gehirnnetzwerke als den Dauergrübel-Default Modus nah am Wasser.
In der Nähe des Baumstumpfes, auf dem Rike den Schneemann gesehen hatte, fanden sie im Matsch zwei Knöpfe. Leni wickelte sie zur Spurensicherung in ein Taschentuch.
Tür 5 und 6: Zeitblindes Intermezzo, aus Gründen
@Elementary: Paul, ich bin es. Können wir kurz reden?
P: Klar. Ich würde Dir jetzt sogar Freud-mäßig Rikes Couch anbieten und mich hinter Dich setzen, aber Du weißt ja: Rückenschmerzen auf eigene Gefahr.
E: Die Schmerzen würden mich wenigstens wie Kerosin in die Gegenwart bringen. Aber da bin ich auch so heute angekommen… Ich glaube, das mit uns geht so nicht weiter, Paul. Die Portionen hinter den ersten Türen waren zu groß. So viel kann und will niemand mit ADHS an einem Tag lesen. Und das würde auch zu einer Hörbuch-Fassung von fast 4 Stunden führen. Das vorzulesen könnte niemand von @UlBre verlangen. Und es würde auch keiner anhören wollen…
P: Die sind alle erwachsen und können das für sich selbst entscheiden. Vielleicht ist deren Impulskontrolle besser als Deine. Witzig, dass Du die Perspektive einnehmen kannst, aber so überhaupt nicht siehst, was es bei Dir …
E: Aber das war doch Deine Idee? DU wolltest doch bis Weihnachten noch mit Niklas Latein lernen, ihn von seiner Computerspiel-Sucht heilen, mit Leni über ihre Zukunftsplanung, ihre Rejection Sensitivity gegenüber ihrer Klasse und ihr Helfersyndrom reden…
P: Alles ansatzweise nur, wenn ich schon mal da bin. Zumindest mal die Themen setzen. Kann übrigens auch sein, dass Lenis Essverhalten nochmal relevant wird. Wer hat die letzte Pizza gegessen? Und dann noch diese exzessive Meal-Prep-Sache… Die macht mir auch Sorgen. Und die Strichmännchen in ihrer Spalte im Plan? Aber da wissen wir noch nicht genug. Keine voreiligen Schlüsse.
Das müssen wir „einfach beobachten“. Wie die Motorkontroll-Leuchte - was immer Du Dir dabei gedacht hast… Ich als Protagonist plädiere ja eigentlich immer für „Kill your darlings“, um Texte nicht zu überfrachten.
E: DU wolltest doch unbedingt das Gästezimmer aufräumen und den Keller und die Garage. Wenn Rike Dich lässt, natürlich nur, ganz respektvoll…
P: Ja, weil Rike das ja erstmal nicht kann, wenn sie dann an Krücken aus der Reha kommt. Ich wollte mich eben ein bisschen kümmern.
E: Und der Teil rund um Briefkasten und Erledigungsblockade…
Paul: Ja, aber das wollte ich hier ja erst angehen, wenn wir das bei Dir endlich…
E: Hey, Schweigepflicht! Wie auch immer… Dann sind da noch die Mails von Frau Meyerling und die Sache im Pflegeheim mit ihrer Mutter. Und wichtig: die Sitzungen mit Gustav, dem Gärtner!
P: Ja, Gustav mit reinzunehmen ist nur fair gegenüber ihm und @CirillaVonCintra. Den beiden verdanke ich schließlich mein Leben. Die können wir nicht rauslassen. Ich finde das mit den Pilzen auch immer noch total witzig!
E: Fokus, Paul. Wir müssen v.a. auch noch das Schneemann-Mysterium lösen. Sonst ist es kein Krimi-Adventskalender. Und Leni braucht noch ein paar Forensik-Szenen. Die tun ihr gut.
P: Ja. Naja, das Schneemann-Rätsel ist ja schon gelöst. Das war ja so, dass …
E: Paul! Keine Spoiler! Dafür bin ich nicht hier. Keine Frage, das mit dem Schneemann kommt noch. Klar.
Aber der Rest: Wie zur Hölle soll das alles in den Dezember passen? Du brauchst alleine drei Tage, um Keller und Garage aufzuräumen. Bist Du komplett zeitblind? Ich dachte, Du hast das studiert und hilfst mit beim realistischen Zeit-Management? Ich als lebenslanger Adventskalender-Disziplin-Versager hätte das doch sonst nie angefasst! Das war doch klar, dass ich da krachend scheitere an Impulskontrolle und Belohnungsaufschub.
P: Bin eben auch in Eurem Club. Und ich halte Dir ja jetzt ungern den Spiegel vor… Zur Wahrheit gehört aber: Ich mache hier gar nichts, was Du nicht willst.
…
Bist Du noch da?
…
Siehst du, wie gut ich in meinem Job bin? Ohne mich wärst Du nie so schnell darauf gekommen, wo gerade Deine größten Baustellen sind.
E: Ist nicht allein Dein Verdienst. Ich habe heute mit @Nono geschrieben. Die hat mir den Blick geöffnet, dass es auch 2025 wieder eine Adventszeit gibt. Das war mir so nicht bewusst, dass man Rikes Keller auch nächstes Jahr aufräumen könnte…
P: Coole Intervention. Hätte ich nicht besser gekonnt! Danke, @Nono.
E: Und der Taskwechsel-Post von @Freya kam auch zur richtigen Zeit.
P: Die Magie Eures Forums. Lauter Zeitblinde im Hyperfokus - und trotzdem ist das Timing manchmal perfekt. Also dann war es das jetzt? Schneemann-Auflösung noch und dann aufgeben? Im Advent 2025 nochmal versuchen?
E: „Nicht aufgeben“ steht ja eigentlich auf Platz 1 der Not-to-do-Liste.
P: Das ist ein anderes Buch… Das ist das mit dem Känguru, Teil 2, am Ende, oder? Die Anspielung versteht doch nur wieder keiner, der das nicht gelesen hat. Das ist nicht inklusiv. Und dann spielst Du wieder die beleidigte Teewurst mit RSD. Das hatten wir doch besprochen! Mach bitte Deine Therapie-Hausaufgaben! Ich kann so nicht arbeiten!
E: Vorschlag. Wir nehmen diese Sitzung hier als Tür 5. Das wird schon gehen. Bei Arte gibt es eine ganze Serie mit Therapie-Sitzungen. Das gucken die Leute auch an.
P: Schreib „Tür 5 und 6“ darüber. So eine Textwand will niemand mit ADHS an einem Tag lesen. Kann sich ja jeder selbst aufteilen. Zerbrich Dir nicht den Kopf Deiner Leser.
E: Und die Szene im Bad mit Mario und Niklas… Das teilen wir auf in Tür 7 und 8. In der Hoffnung, dass die Leser fähigere Türsteher sind als wir beide?
P: Deal. Und dann sehen wir weiter am 9.? Jetzt ist nicht immer, denk dran. Und jetzt geh an Deine Buchhaltung! Ich wohne komplett mietfrei in Deinem Kopf! Ich zahle die nächste Miete nicht. Wird schon. Bin immer hier, wenn Du reden willst: „Deine Geister sind Dein Team.“
Tür 7 und 8: Rein und raus aus der Scheiße - das neue Therapie-Tool mit Dr. Paul Krampitz
„Steißlage, Dr. Krampitz. Das wird eine schwere Geburt.“ sagte Sherlock-Leni.
Paul und sie starrten wie gebannt auf das, was noch von „Mario, der Super-Ratte“ zu sehen war.
„So lang, wie er ist: Wenn wir hier nur noch die Pfoten sehen: Wie tief drin steckt dann bitte seine Schnauze? Wie hat sie das bloß geschafft?“ wunderte sich Paul.
„Sie hat noch sehr kleine Hände. Und sie hatte zu viel Zeit. Aber interessiert Dich das Wie wirklich mehr als das Warum?“
„Zum Warum habe ich so eine Ahnung.“
Es war fast schon ein Ritual geworden, dass sich Paul (in einem früheren Lebensabschnitt promovierter Ratten-Dopamin-Forscher) jeden Abend eine Geschichte für Julia einfallen ließ. Im Mittelpunkt stand immer Mario, die Plüschmaus. Paul verwandelte ihn mit einer Serviette als Cape in Super-Mario, der die Prinzessin rettete. Gestern Abend hatte er Super-Mario, die Kanalratte, auf eine imaginäre Reise durch die Abwasser-Rohre geschickt, um für etwas Abwechslung zu sorgen.
Heute früh wollte Super-Kanal-Mario dann aber wohl nochmal selbst nach der Prinzessin sehen: im Abfluss des Gäste-WCs.
Leni riss ihn aus seinen Gedanken: „Wie und warum auch immer. Ich bringe die Täterin jetzt zum Schwimmkurs. Die Welle, Du erinnerst Dich? Anjas Mutter wartet sicher schon auf uns.“
Paul blickte noch immer fassungslos auf Marios Pfoten.
„Kümmer Dich um ihn, Paul. Jetzt!! Je länger er sich vollsaugt, desto schwerer wird es. Und nicht mit Gewalt! Wenn der Kopf stecken bleibt, verlieren wir ihn. Das darf nicht passieren. Das wäre eine Katastrophe. Guck auf den Plan: das Mausgesicht. Morgen ist Kuscheltier-Tag in der Kita.“
„Schon verstanden. No pressure. Jetzt nicht mehr pressen, Leni.“
Das war alles Pauls Schuld. So lautete auch Rikes Blitzdiagnose, als er sie anrief, um grob zu umreißen, warum er erst später kommen könnte oder sogar erst morgen.
„Warum bringst Du sie auf solche Ideen? War doch klar, dass das passiert! Sie ist 5. Und warum war sie so lange unbeaufsichtigt? Sie hätte mit dem Arm im Klo stecken bleiben können. Man kann Euch einfach nicht alleine lassen. Ich lasse mir jetzt Krücken bringen und entlasse mich selbst.“
„Tu das bitte nicht, Rike. Ich bring das wieder in Ordnung. Ich wollte nur kurz Bescheid geben, dass ich noch nicht kommen kann. Wo finde ich denn Werkzeug?“
„Unter der Spüle in der Küche, ein bisschen. In der Garage mehr, aber da kommt man schwer ran gerade. Im Keller. Da aber lieber auch nicht. Im Gästezimmer ist so eine rote Box mit dem nötigsten.“ Rike wurde weniger vorwurfsvoll, als sie sich an ihre eigenen Baustellen erinnerte. „Danke, Paul.“
Der Tag hatte eigentlich so gut angefangen. Leni war ganz in ihrem Meal-Prep-Element und schnitt in der Küche Gemüse für die kommende Woche. Niklas war mal nicht in seinem Zimmer, sondern stand seit einer gefühlten Stunde unter der Dusche. Julia saß derweil mit Mario auf dem Gäste-WC und erzählte ihm dort irgendwas.
Das dachte Paul jedenfalls, als er sich Sonntagvormittag endlich um die tagelang angestauten Mails kümmerte. Vor allem die seiner Assistentin, Frau Meyerling, wurden im Ton immer ärgerlicher. Noch zwei Mails und sie würde wohl wieder mit Kündigung drohen.
Er hatte zu wenig Erfahrung mit Familienalltag: Ruhe war verdächtig, ein Signal für drohendes Unheil. Aber er würde es in Ordnung bringen. Alles in dieser Villa Kunterbunt würde er wieder in Ordnung bringen. Paul sah sich gedanklich kurz selbst im Superhelden-Cape, aber nichts (außer Rückenschmerzen) bringt so effektiv in die Realität wie mit den Händen in einem verstopften Familienklo zu stecken. Vielleicht sollte er daraus ein Therapie-Tool entwickeln: „Rein und raus aus der Scheiße - mit Dr. Paul Krampitz“.
Vorsorglich machte er mit dem Smartphone (40 % Akku!) ein Foto von Marios Pfoten. Vielleicht brauchte er das später mal für Insta als Gründungsmythos des Tools. Auch Mäuse-Merchandise musste man frühzeitig mitdenken. Mentale Gesundheit musste sich heute kaufmännisch rechnen.
Niklas hatte fertig geduscht und stand mit nassen Haaren vor Paul. „Sag mal, Paul, könntest Du mir evtl ein Attest besorgen, wenn ich, sagen wir mal, etwas in der Klemme wäre? Hypothetisch? Ich bräuchte aber eins ohne Psycho-Arzt und so.“
„Von was für einer Klemme reden wir denn? Du siehst ja: Du bist hier gerade nicht allein damit.“
Paul fokussierte weiter das Abflussrohr und bemühte sich, betont beiläufig zu klingen, um Niklas entspannter zum Reden zu bringen. „Mario klemmt auch. Gib mir mal die Zange da, bitte.“ Die Stille jetzt eine Weile aushalten und …
„Latein.“ Wieder Stille. „Stammformen und Ablativ und so.“
„Verstehe. ‚Das sind die Stammfoamen. Die müssen sie lährnen. Sonst geht die ganze Übersetzung in die Hosse.‘“
„Was?“
„Das hat Frau Geyer immer gesagt. Ich höre ihre Stimme immer noch. Unsere alte Lateinlehrerin. Rike hatte sie auch. Sie kam aus Russland, daher der Akzent. Latein-Vokabeln und Stammformen haben eine lange Endgegner-Tradition in unserer Familie, Niklas. Daran sind wir alle verzweifelt.“
Schweigen. Mist, Paul hatte sich durch Nostalgie hinreißen lassen und das Gespräch gekapert. Ein Gruppengefühl im Lateinversagen war wohl nicht, was Niklas gerade brauchte.
„Ist ja alles bisschen viel gerade für Euch.“ setzte Paul neu an.
„Geht eigentlich schon länger so. Ich kann das einfach nicht, Paul. Ich habe alles versucht, um mich zu konzentrieren. Wirklich. Da ist was kaputt bei mir. Das zeigt ja auch die Diagnose.“
„Darüber reden wir nochmal, wenn ich nicht alle Hände … in Eurem Klo habe, ja? Wann schreibt Ihr denn die Arbeit?“
„Morgen. 3./4. Stunde, steht doch auf auf dem Plan in der Küche: L mit Blitz!"
Paul hatte eigentlich nur weiter an einer Schraube gedreht, um das Gespräch in Fluss zu halten. Nach der letzten Umdrehung löste sich die Toilette aus der Verankerung in der Wand - und mit ihr ein Schwall Abflusswasser auf die Fliesen.
„Igitt, ist ja saueklig.“ Niklas rannte in sein Zimmer. Seine nassen Sockenabdrücke zeigten, dass er das Gesamtkunstwerk seiner Schwester nun noch weiter im Haus verteilen würde.
Wenigstens Mario lächelte Paul an, als der ihn endlich aus seiner misslichen Lage befreit hatte. Etwas fleckig, aber tapfer und dankbar, der kleine Kerl.
Paul steckte Mario in die Waschmaschine, 30 Grad mit Vorwäsche, Überdosis Lenor, und er nähte auch sein halb abgerissenes Ohr wieder an, mit blauem Häkelgarn aus dem Gästezimmer. Mario trug jetzt einen Verband, saß auf der Heizung und wartete auf Julia, die jeden Moment mit Leni vom Schwimmkurs kommen müsste.
„Das Leben zeichnet Narben, Kumpel“, nickte Paul ihm zu. „Und lass Dich von Teddy und den anderen nicht mobben deswegen.“ So weit waren wir also: Paul redet mit Plüsch-Kanalratten. „Animismus“ schoss es ihm als Selbstdiagnose durch den Kopf: der Glaube, dass unbelebte Objekte eine Seele oder einen Geist besitzen. Kann bei ADHS stark ausgeprägt sein. Besser imaginäre Freunde als gar keine. Die Familienratte war gerettet. Der Neffe war dann später dran.
Oder doch jetzt gleich? Denn Paul hörte ein lautes „FUCK“ aus Niklas’ Zimmer. Irgendwas flog gegen die Wand. Das Lateinbuch? Oder hatten sie heute Tablets dafür?
Aus medizinischer Sicht war der Attest-Ausweg nicht ideal. Weglaufen war keine Lösung. Ganz schlecht auch mit Blick auf Selbstwirksamkeitserfahrung. Aber in dem Bermudadreieck aus verstopftem Klo, Marios Befreiung und Niklas Wutausbruch waren Stunden verflogen.
Paul hängte sich ans Telefon, um eine Lösung zu besorgen: ein Attest „ohne Psycho drauf“, wie bestellt. Nicht ohne Stolz ging er dann zu Niklas: „Hier ist das Attest, das Du wolltest. Ich weiß aber nicht, ob das der richtige Weg ist. Ob es Dir hilft oder ob das alles schwieriger macht, mittelfristig?“
„Ein Attest von einem Rheumatologen? Hast Du 'n Defekt? Ich will nächstes Jahr in die Handball-Auswahl! Mit Rheuma nehmen die mich noch nicht ins Team! Und drei Stunden Fahrzeit von hier? Gar nicht auffällig.“ Niklas war außer sich. Er war von Idioten umgeben. Ganz allein auf der Welt. Nur er und die Latein-Stammformen. Alles im Arsch.
„Die andere an einem Sonntag erreichbare Alternative wäre meine frühere Mitbewohnerin Sabine gewesen, aber die ist jetzt Frauenärztin. Vier Stunden von hier.“ Paul fand das eigentlich witzig, aber Niklas erreichte er gerade nicht mehr.
„Gib mal die Liste mit den Stammformen her. Ich guck mal mit rein, ja? Einen Attest-Plan B haben wir ja jetzt, wenn auch einen mit Arthritis. Vielleicht nimmt das etwas Druck raus und löst die Latein-Blockade. Komm. Mario haben wir auch zusammen aus seiner Klemme befreit.“
Veni, vidi, vici. Ich kam, ich sah, ich … griff ins Klo und rettete eine Ratte.
©Paul feat. by @Elementary
Fängt mich gerade total mal überlegen
als Postkarte, Kühlschrankmagnet,… gut sichtbar, an neuralgischen Punkten, da geht was
Ich mach schon mal eine Vorbestellung für das Hörbuch…
Aber…
Halt!!
Moment mal…!!!
Jetzt haben wir alle schon vorausgelesen… Heute ist erst der 5.12. Wir hätten das doch überhaupt noch gar nicht lesen dürfen…!!
Also nee… Sowas hab ich doch noch nie gemacht…
Aber ich hatte auch noch nie so einen Insider-Roman-Adventskalender…
Mit Kanalratten, Familienkalender-Hieroglyphen, Langduschern… und auch noch kriminalistischen Kindern…
War eh schon toll zu lesen, aber der Teil mit den Attesten war einfach zu geil
Ersteres wäre klasse. Und nächstes Jahr dann die Fortsetzung. Juhuuuuuu!!!
Verlangen danach hab ich vor allem selbst. Träume schon ewig davon, ein Hörbuch einzulesen. Ernsthaft.
Ich produziere laufend Zeug, von dem ich weiss, dass das keiner alles lesen will. Da hab ich tiefstes Verständnis. Die auditive Erweiterung wäre da nur der logische nächste Schritt. Heimspiel, sozusagend.
Liebe @Elementary, du bist - toll :-)))
Der hat mich kalt erwischt
Ich wusste es doch - du warst bei uns zu Hause!
Danke für den unglaublich tollen Adventskalender Ich fühle mich so verstanden! Und ich musste alle paar Sätze laut lachen, danke auch dafür
Ich freue mich jedenfalls sehr auf die Fortsetzung, und denk dran: Wenn sich jedes Türchen pünktlich um 00:00 öffnen würde, wärs ja kein ADxS-Kalender Also kein Druck! Allerdings würde ein echter ADxS-Kalender wohl spätestens bei Türchen Nr. 16 aufhören… Das wär dann doch schade…
Ah, ich habe die Lösung! Deadline für den Versand ans Tonstudio ist der 24.12. um 00:00 Uhr (also halt dir den 23. besser schon mal frei
).
Danke nochmals
Ich fühle mich auch verstanden… Danke. Wir werden sehen.
Und es kommt ja auch ständig neues Material: Schimmelkunst in Niklas’ Brot-Dose z.B. hätte sicher auch Identifikationspotential.
Ich hätte noch dazu schreiben sollen, dass keine realen Plüschmäuse zu Schaden kamen. Mario hatte bei den Dreh- und Schreibarbeiten ein KI-Kanalratten-Stunt Double.
Wir erwarten Euch dann hinter Tür 9.
Vielleicht kann Krasti ja beim prokrastinierten Abwasch helfen …
…und Erik und Pingu möchten auch gerne was beitragen… sie kennen sich ja bislang nur virtuell, bzw. haben sich ja jetzt dank des Romanes in der Zuhörerschaft endlich kennengelernt.
Aus eigener Erfahrung mit ihren jeweiligen stark neurodivergenten Herkunftshaushalten erkennen die dringlichkeit des Aufräumens in Rikes Wohnung auf den ersten Blick und würden beherzt mit anfassen, falls Paul die Jungend nicht ausreichend motivieren kann …
Klar ist, dass Paul die tatsächliche Dramatik der Lage noch gar nicht erkannt hat und sehr wahrscheinlich von Frau Meyerling gefeuert werden wird.
Und sie wird sich nämlich dann seines sträflich vernachlässigen Patientenstammes annehmen und erstmal Ordnung in diese großzügige ADHS-Diagnostoziererei bringen und der laxen Verordnung von Methylvanse und Elfetamin ein Ende bereiten.
Vor allem wird sie einen Leiter Finanzen einstellen, damit auch die Ertragsseite endlich mal etwas rosiger wird.
Paul würde wahrscheinlich dann eine Online-Praxis eröffnen und schauen, dass er seine Patienten wieder bekommt und den Leiter Finanzen dann gleich auch. Und wenn das dann gelungen ist, würde er weitere Ärzte einstellen in allen Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern und sich selber zum ärztlichen Leiter ernennen…
Ja also und deshalb würden Erik und Pingu dringend mal da im Adventskalender nach dem Rechten sehen wollen, damit die ärztliche ADHS-Versorgung nicht das Internet, äh, den geschmolzenen Schneemann runter geht…
Herzerwärmende Umarmung… Du weißt, warum.
Die Sonderkommission Schneemann jagte nur einem Cold Case nach, bis Du als Profilerin an Bord kamst und die Garage wieder zur Einsatz-Zentrale gemacht hast.
Danke, dass Ihr den Schneemann reanimiert habt. #KissOfLife
Elfetamin für alle!
Elemtamin für alle
Abba nur das Original, also aut idem :-))))
Hier sind alle ein Original. Ich hoffe sehr, dass der [Forum Fiction] Bereich wächst und @SneedleDeeDoo uns z.B. am Tagebuch seiner Zeit mit Horst teilhaben lässt.
Wimmelbücher hat die Welt genug. Schimmelbücher müssen noch geschrieben werden.
Ich habe heute weiter überlegt, ob der Kalender nicht sehr grober Unfug ist, für alle Beteiligten. Paul findet aber, ich solle das nicht mit meinen Idealen vergleichen, sondern mit dem realen Unsinn, den ich ohne ihn anstellen würde…
Ja, grober Unfug.
Toller, wunderbarer, Lebensfreude spendender Unfug :-)))
Ja von wegen „Unfug“ meine Liebe @Elementary , Du zauberst uns doch allen hier im Forum mit Deiner Adventsgeschichte jeden Tag aufs neue ein Lächeln, oder sogar ein richtig breites Grinsen ins Gesicht, weil Deine Geschichte soviele Elemente von uns verschiedenen, und gleichzeitig auch wieder irgendwie auch sehr ähnlichen Adhs’lern, hier in unserem gemeinsamen Forum, für jeden irgendein Element enthält, in dem man sich wieder erkennt, oder einen auf jeden Fall zum Schmunzeln bringt, so dass man garnicht anders kann , als sich darüber zu freuen wie wunderbar Du uns hier alle mit Deiner Adventsgeschichte erfreust, und ich persönlich kann es wieder mal kaum erwarten wie die Geschichte weiter geht, möchte Dich aber natürlich nicht stressen, sondern im Gegenteil, nimm Dir die Zeit die Du für Dich brauchst.
Also ich finde deinen Kalender wunderbar!
Ich hab ja dieses Jahr keinen Kalender gekauft und habe in meiner Verzweiflung schon angefangen, Kalender in den Apps diverser Unternehmen anzuklicken. Das ist schon sehr traurig, wie ich finde
Dein Schreibstil gefällt mir ausgesprochen gut und ich musste mich echt bremsen, nicht zu lang im Lesen zu verweilen, weil ich sonst zu spät zur Arbeit gekommen wäre. Deine Angabe der geschätzten Lesezeit hat mich da gerettet!
Ich gehe jetzt nochmal nach Horst sehen und suche morgen mal nach meiner Makrolinse fürs Handy, um ein bisschen Schimmelkunst zu machen. Ich frage natürlich nach, ob er für Portraitfotos zu begeistern ist, aber er scheint mir da unkompliziert zu sein.
Lass ihn seine Einwilligung besser dokumentieren, vielleicht in einer Petri-Schale.
Er wäre nicht die erste Schimmelspore, die nach dem Fame … Naja, will ihm nichts unterstellen, aber denk an das Makaken-Selfie: Wie das berühmte Affen-Selfie einen Fotografen ruinierte | STERN.de
Petri-Schale, Horst!
„Petri-Dank, Paul!“
*Dab macht…
„Du hast wohl wirklich einen Defekt, Paul! Dabben ist sowas von out, du kleiner Talahon. Solltest echt mal deine Aura checken!“
Schere
Tür kurz vor 9: Ratten auf dem Abenteuerspielplatz
Am nächsten Morgen fuhr Paul erst Julia, Mario und Anja in die Kita: Kuscheltiertag, FG-Fahrgemeinschaft blauer Punkt!, alles nach Plan.
Danach brachte er Niklas zur Schule. Für eine Extraportion Zuspruch, aber auch, damit Niklas wirklich reinging: „Die Welt geht nicht unter, so oder so. Wenn Du willst, erkläre ich Deinem Lateinlehrer am Elternsprechtag, warum es für Dich schwierig ist. So generell und gerade besonders. Es geht ums Tun und nicht ums Siegen. Wie beim Handball…“
„Wird das jetzt hier Coach Pauls Kabinenansprache? Cringe. Ich gehe lieber rein.“
Als Niklas später aus der Schule kam, schien er erleichtert und für seine Verhältnisse fast gesprächig. Paul zählte ganze fünf Sätze, sogar mit Verben: „War ganz ok. Kann für 'ne 4 reichen. Ging eigentlich. Paar von unseren Ablativ-Eselsbrücken von gestern Abend wusste ich noch: Der Römer stellt die Frage ‚wo?‘ bei pōnō, locō, collocō - und so.“
Als am Nachmittag dann alles wieder in alte Muster rutschte, ging Paul zum Sicherungskasten, legte den Schalter für Niklas’ Zimmer um und wartete, bis er rauskam: „Wir hatten ja vereinbart, dass Du im Tausch gegen das Attest einmal mit Julia und mir…“
„Nerv bitte nicht, Paul. Ich habe Dein Rheuma-Attest doch gar nicht benutzt!“ unterbrach Niklas ihn.
„Und? Bei Luigi zahlen wir die Pizzen auch nicht nur, wenn wir aufessen. Also, das war der Deal: einmal Abenteuerspielplatz. Julia, Mario, Du und ich. Jetzt! Komm, ich will Dir da was zeigen.“
Auf dem Spielplatz angekommen fragte Niklas: „Habt Ihr hier 1962 mit Deiner Bande einen Schatz in der Sandkiste vergraben, den wir jetzt heben sollen?“
„Für wie alt hältst Du mich eigentlich?“
„Keine Ahnung. Die Spielgeräte sind jedenfalls alle aus der Zeit. Der Gemeinderat hat ja das ganze Budget neulich in die Straßensanierung der Schlaglöcher gesteckt.“
„Ja, das habe ich mitbekommen. Wir brauchen nur die Wippe. Old school, wie ich. Außerdem hatte ich damals keine Bande. Ich war nicht beliebt. ‚Keiner von den Quarterbacks‘, das singen sie doch in Deiner Playlist. Ich hatte nur diesen Detektiv-Club mit Torben Schmeling. Weißt Du, der jetzt das Hotel ‚Zur seligen Burg‘ leitet. Später dann die Schach AG.“
„Krass! Gadget-Maltes Vater Torben war in Deinem Detektiv-Club? Das wusste ich gar nicht. Nur Ihr beide? Oder war Groucho Marx auch dabei?“
„Gadget-Malte?“
„Ja. Dein Torben hat mehr Geld als Zeit für seinen Sohn. Deshalb kauft er ihm immer den neuesten Elektronik-Bums. Drohnen und so, fresh von der Messe. Alle nennen ihn Gadget-Malte. Ich glaube ja, er steht auf Leni, aber die merkt das nicht. Dabei geht er nur für sie in die Chemie-AG.“
„Leni ist in der Chemie-AG? Das steht gar nicht auf dem Plan in der Küche.“
„Keine Ahnung. Vielleicht ist irgendwo ein Atom hingemalt. Leni macht sowieso eigene Pläne. Sie schreibt am Wochenende immer ihr Bullet Journal voll mit so Finelinern in pastell.“
„Gute Technik, gerade bei Zeitblindheit. Versuch das doch auch mal. Dann fällt die nächste Latein-Arbeit nicht so plötzlich vom Himmel.“
Niklas verdrehte die Augen: „Darf ich jetzt nach Hause, Dr. Krampitz?“
„Noch nicht. Siehst Du, wie viel Spaß die beiden auf der Schaukel haben?“ Paul zeigte auf Julia und Mario.
Niklas senkte jetzt die Stimme: „Paul, ich sage Dir das jetzt sehr ungern, aber einer muss es tun. Super-Mario ist keine echte Maus. Nicht mal eine aus einem Labor in die Kanalisation geflüchtete Ratte. Er hat nur Füllwatte im Kopf. Und das ist gut so. Denn sonst hätte er seit Julias Klo-Aktion voll den Hirnschaden. Könnte nur noch Ohrganspender sein für Lenis gehäkelten Keinohrhasen.“
„Wusstest Du, dass Ratten, denen man im Labor einen Abenteuerspielplatz baut, ein viel geringeres Risiko haben, von Kokain und Zucker abhängig zu werden? Bei abwechslungsreichen Dopamin-Angeboten in so einem rat park ist man viel resilienter und widerstandsfähiger gegen Suchtdruck.“
„Ich konsumiere kein Kokain, Herr Detektiv. Ich schwöre. Immer artig nur das Zeug auf Rezept.“
„Kann sein. Krasser Überkonsum von Bits und Bytes schadet aber auch, wenn Du mich fragst.“
„Wenn Du mich fragst, frage ich Dich aber gerade gar nicht.“
„Wo ist Dein Gamification-Rat Park? Warum gar kein Skaten mehr und auch sonst gar nichts Analoges?“
Niklas streckte sein linkes Bein aus: „Erst das Wadenbein gebrochen durch einen vermasselten Kickflip, dann das Herz durch Kira Mertens, dann kamen die Lockdowns. Mein Rat Park ist jetzt digital. Ich komme klar. Alles gut.“
Jetzt verdrehte Paul die Augen, rein strategisch: „‚Alles gut‘ sieht für mich bisschen anders aus. Selbstmitleid steht Dir auch nicht. Komm mal mit zu der Wippe da. Mentaler Kickflip. Kleine Challenge, die Dir die Füllwatte aus dem Hirn pustet. Versprochen.“