Vielen lieben Dank @Sudarshana ,
Der Zusammenhang ist mir definitiv klar (ich kann diese Literatur hier auch sehr empfehlen https://d-nb.info/1019813504/34) aber bei mir gibts da noch ein Mal „Katalysatoren des Verderbens“.
In meiner Kindheit wurde mir nur „gesundes“ Essen erlaubt. Meine Mutter hatte, rückblickend betrachtet, definitiv eine Art von Ortorexie entwickelt. Sie selbst ist in Armut aufgewachsen, es gab oft gar nichts zu essen - und wenn, dann war es trockenes Brot. Kurz in Wasser getaucht und mit Zucker bestreut, manchmal an Weihnachten gab es Gänseschmalz aufs Brot - aber nur mit viel Glück. Die Familie mütterlicherseits hat bereits mit 20 Jahren alle Zähne verloren an Scorbut und Karies - die Verhältnisse in Polen waren brutal.
Meine Mutter wollte es bei uns Kindern anders machen und ist ins andere Extrem gekippt. Es gab sechs verschiedene Sorten Pflanzenmilch zu Hause. (könnt ihr euch das vorstellen, 1991 gab es schon Dinkelmilch im Reformhaus zu kaufen?) ich war im Kindergarten immer das einzige Kind, das keine Nachtisch essen durfte. Es gab keine Ausnahmen, auch nicht, wenn es ein Geburtstagskind gab, und irgendwelche muffins verteilt wurden… Ich habe mich immer sehr ausgeschlossen und sonderbar dadurch gefühlt. Dazu kam dann noch, dass ich natürlich in der Grundschule dann schon in Kontakt gekommen bin mit Zucker, weil es einfach gar nicht vermeidbar war. Ich habe daraufhin so eine unfassbare Gier entwickelt, weil ich es zu Hause nicht durfte. Ich hatte zum Beispiel eine Freundin in der Grundschule, die ich überhaupt nicht mochte. Trotzdem war ich immer sehr interessiert daran, mit ihr befreundet zu bleiben, weil sie mich dann immer zu sich nach Hause einlädt. Sie hatte dort ihre Naschschublade, an der ich mich immer bedienen durfte. Was glaubt ihr, wie sehr ich jedes Mal auf ein Treffen mit ihr hingefiebert habe. Ich habe dann natürlich gestopft ohne Ende, weil das für mich jedes Mal so eine Einmalige Gelegenheit war – und ich ja nie wusste, wann es wieder Nachschub für mich gebe. Ich denke schon, dass das damals Tür und Tor geöffnet hat für ein sehr ambivalentes Verhältnis zu Essen. Ich war nie dick, allerdings wurde mir das immer angedroht von der Verwandtschaft. Meine Oma sagte zum Beispiel immer zu mir: ist nicht so viel, sonst wirst du noch so dick wie deine Cousine. Meine Cousine ist 2019 tatsächlich an ihrer Adipositas gestorben, sie wurde nur 33 Jahre alt. Für mich war das ganz schlimm, dass ich überhaupt mit ihr verglichen wurde, dabei habe ich einen BMI von 21 oder so?
Ich habe auch erst als Teenager einen McDonald’s von innen gesehen, und rückblickend kann ich definitiv sagen, dass dieses ständige, dämonisieren und einteilen von Nahrungsmitteln in gesund und ungesund mich richtig hat, neurotisch werden lassen. Weil ich einfach nichts von dem, was ich mir mal genehmige, wirklich genießen kann. Und trotzdem ist die Gier danach so groß, dass ich es dann trotzdem esse, Auch wenn ich weiß, wie schlecht ich mich danach fühle.
Natürlich bin ich total unter stimuliert, und esse richtig oft aus Langeweile, oder auch aus Frust. Oder auch um mich zu belohnen. Gerade wenn ich irgendwelche total ätzenden Sachen machen muss, wie Haushalt – muss ich das unbedingt mit einer Tafelschokolade verbinden, damit sich der ganze Zirkus überhaupt lohnt… Und das ist zum Beispiel ganz klar die ADHS Seite, die aus mir spricht. Aber es gibt eben noch das andere, das kleine Mädchen in mir, das einfach so ein bisschen darum trauert, nicht in so losgelöste Kindheit gehabt zu haben, sondern etwas, was ich als sehr restriktiv und kontrollierend erlebt habe.
Obwohl ich schon seit 15 Jahren alleine wohne, fühle ich mich im Supermarkt manchmal trotzdem beobachtet. Es ist total neurotisch, welche Gedanken ich mir mache, wenn sich zufällig ein Schokoriegel auf dem Kassen Band verirrt. Ich schaue mich dann die ganze Zeit nervös um, ob zufällig jemand hinter mir steht, der mich kennt. Und was diese Person wohl über mich denkt. Vielleicht wird jetzt das Ausmaß Meiner Hirnparty, etwas deutlicher…?
Jedenfalls ist das ein Thema, was ich schon ganz gerne therapeutisch aufarbeiten würde.
Ich hoffe sehr darauf, dass Elvan meinen Appetit drastisch reduziert, sowie die einhergehenden es Anfälle. Was ist aber nicht tun wird, ist, mein Verhältnis (oder meinen Bezug) zum Essen zu verändern. Es ist einfach ein sehr emotionales Thema, deswegen wäre es zu komplex, es einfach nur auf ADHS zu schieben. Ich denke auch, dass es gar nicht mal so schadet, wenn wir uns alle mal hinterfragen, welche Anteile ADHS sind, und welche von anderen Ursachen herrühren.
Vielleicht würden wir dann auch mit einer kombinierten Therapie (Medikamente und Verhaltenstherapie) wesentlich mehr vorankommen…? Ist nur eine Hypothese von mir. Bitte drückt mir die Daumen, ich habe so viel Hoffnung jetzt in Medikation gesteckt, es würde mir echt das Herz brechen, wenn es mir nicht hilft. Denn einen Therapieplatz in Hamburg zu bekommen, ist so wahrscheinlich, wie Frost in der Hölle.