Überdiagnostik von ADHS

Toll geschrieben, ich fühl’s. Kenne vieles auch von mir selbst.

Hallo Androidler,

das ist jetzt der drite Beitrag von dir, wo ich spontan denke “Also sowas von unverschämt”, und ich muss mich wirklich anstrengen, nicht über dieses hingehaltene Stöckchen zu springen und meinen Impuls zu ein paar gepfefferten Worten unterdrücken.

Daher ganz zivil die Frage:

Kann es sein, dass du durch diesen Fernsehbeitrag den Impuls hattest, deinen Ärger und dein Unverständnis rauszulassen, wo Leute weiß Gott qualifiziert sind eine Diskussion aufzubauen? Oder was sollen diese, na ja, fast Angriffe?
Autisten haben Probleme mit Empathie und Taktgefühl, wenn ich mich nicht irre, aber du bist nicht erst seit gestern unterwegs. Du kennst dich und deine Symptome und Charakteristiken doch gut und kannst dich nach eigener Aussage durchaus regulieren, wenn es sein muss.

Wenn du dennoch u.a. so in den Raum wirfst, dass es deiner Meinung nach viele Menschen gibt, die höchstens mild betroffen sind und eine evtl. vermeintliche ADHS als Ausrede für Faulheit benutzen, erlaube ich mir das Gedankenspiel, dass so mancher Betroffene sein Krankheitsbild so manches Mal als Ausrede für grobe Unhöflichkeit und ungefiltertes Venting benutzt.

Dass es dir schlecht geht, tut mir nichtsdestotrotz sehr leid, das ist mit Sicherheit ein harter Kampf, den du täglich kämpfst.

Und übrigens, ohne dir dein Leiden in irgendeiner Form absprechen oder verharmlosen zu wollen (denn das steht niemandem ggü. niemandem zu), nur als Anregung: Du magst evtl. mal in das Thema “Histrionik” hereinlesen.

Alles Gute.

Ich finde, du stellst zu Recht die Frage, ob man eine Diagnose haben kann, wenn man keine Einschränkungen hat. Einschränkungen kann man fühlen, und oft kann man sie auch von außen sehen, aber nicht immer.

Bei Autismus wird grundsätzlich verlangt, dass die Symptome das alltägliche Funktionieren einschränken, sonst darf die Diagnose nicht vergeben werden. Ich nehme an, bei ADHS ist es ähnlich.

Also dürfte es logischerweise keine Leute geben, die eine Diagnose haben, aber keine Einschränkungen. Wenn man dennoch solche Leute irgendwo sieht, ist man irritiert. Die Frage ist dann nur, ob diese Leute ihre Einschränkungen nicht klar genug beschrieben/gezeigt haben, oder ob sie wirklich keine haben und zu Unrecht diagnostiziert wurden. Dass auch Diagnosen zu Unrecht gestellt werden, glaube ich schon. Genauso wie auf der anderen Seite auch viele noch undiagnostiziert sind, die eigentlich eine Diagnose bekommen sollten.

An der Stelle könnte man natürlich fragen „was, du hast eine Frau?? Wie passt das zu Autismus?“ Einmal das Verhüten vergessen, dann hast du auch Kinder… (Spaß)

Ich hatte nie eine Beziehung, und es ist für mich auch schwer vorstellbar, wie man mit jemandem zusammenleben könnte. Von daher habe ich mich auch oft gefragt, wie das gehen kann, wenn man Autismus hat. Ich denke dann immer an Peter Schmidt, ein relativ bekannter Autist, der früher häufiger in den Medien zu sehen war. Auf den ersten Blick erfolgreich: Dr.-Titel, Vollzeit berufstätig, verheiratet, zwei Kinder. Aber wenn er von sich erzählt hat, dann wurden die Symptome trotzdem deutlich. Ich denke, bei der Arbeit hat er mit Leistung überzeugt, sodass über manches hinweggesehen wird, und in der Familie war es so, dass alle sehr auf ihn Rücksicht genommen haben, aber reibungslos lief das nicht ab. Also wenn ich Zweifel bekomme, dann rufe ich ihn mir in Erinnerung.

Andererseits sah ich auch schon ADHSler und Autisten in den Medien, wo wirklich nichts erkennbar war, auch nicht in ihren eigenen Beschreibungen, jedenfalls nichts, was über Allerweltsprobleme hinausging, die jeder haben kann. Einmal wurde eine ADHSlerin gezeigt, die sogar sagte, dank ihres ADHS könnte sie mehrere Interessen und Projekte gleichzeitig verfolgen, sie war ein richtiger Tausendsassa mit zig Interessen und einem zu 100% produktiv genutzen Tag. Da habe ich mich schon gewundert.

Immer ein schwieriges Thema. Ich denke, es sollte sich niemand persönlich angesprochen fühlen, es sei denn, es träfe wirklich zu, dass er oder sie gar keine Einschränkungen hat.

Du hast vollkommen Recht. Das Thema Beziehung ist extrem schwierig und geht auch nur, weil meine Frau selbst psychisch betroffen ist und mir unendlich viel Freiraum lässt. Sonst ginge das auch nicht.

Das ist bereits eine riesige Herausforderung für Autismus und führte in jeder Beziehung mit neurotypischen Frauen zum Eklat, weil sie mein Verhalten nicht verstanden oder akzeptieren konnten.

Ich habe einige Dinge so nicht geschrieben. Dass eine Diagnose als Ausrede für Faulheit verwendet wird, wird teilweise in der Normalbevölkerung so betrachtet.

Selbst meine Eltern sagen, die Diagnose ändert nix daran, ich müsste mein Leben bewältigen und kann mich nicht dahinter verstecken. So sehen es halt viele.

Ich sage nicht, dass ich diese Ansicht teile. Teilweise merke ich aber auch selbst, dass man sich mit der Diagnose teilweise mehr Dinge zugesteht, während man sich sonst noch mehr zur Normalität und zum Funktionieren geprügelt hat. Aber gesund ist das nicht.

Was die Diagnose jetzt bringt oder nicht, schwer zu sagen.

Ich frage aber lediglich, ab wann Normalität endet und Störung beginnt.

Die Frage stellten und diskutierten die Experten auch.

@derAndroidler

Ich habe zwar keine Ahnung, welchen ZDF-Beitrag du gesehen hast, aber du solltest dabei nicht außer Acht lassen, dass solche Beiträge oftmals absichtlich so gestaltet werden, dass der Eindruck entsteht, ADHS sei gar keine echte Behinderung, sondern nur eine marginale Befindlichkeitsstörung.
Das geht auf eine lange Tradition der Stimmungsmache zurück, die einmal mit Behauptungen wie, die Pharmaindustrie wolle temperamentvollere Kinder mit „Drogen“ vergiften, ihren Lauf nahm und wird heute in der Darstellung der Erwachsenendiagnosen, wenngleich auf andere Weise fortgeführt.
Solche „Geschichten“ verkaufen sich leider gut und ein paar spöttische Kommentare von irgendwelchen Experten, à la Gerald Hüther, die dem „Unbewussten“ besonders zugetan sind, sorgen für das nötige Maß an Verwirrung, von dem schlechtes Format zerren kann.
Ich würde solchen Fernsehbeiträgen nicht zu viel Bedeutung beimessen. :wink:
Eine ADHS-Diagnose wird auch nicht vergeben, nur weil jemand das Gefühl hat, anders zu sein, sondern weil es in der Regel zu großen Schwierigkeiten auf zwischenmenschlicher Ebene gekommen ist, zu Lernproblemen, zu schweren Aufmerksamkeitsproblemen und Konzentrationsproblemen, Impulsivität usw. … … … … … … … … … …
Sämtliche Probleme lassen sich gut durch Abweichungen in Kognitionstests verifizieren, durch Schulzeugnisse, biografische Besonderheiten und Familienanamnese belegen.
Es gibt nur wenige neurobehaviorale Entwicklungsstörungen, die sich so gut greifen lassen und trotzdem gibt es auch darunter Falschdiagnosen, weil es überall zu falschen Einschätzungen kommen kann. Das ist menschlich.
Viel schlimmer finde ich die negativen Folgen für ein Individuum, wenn die ADHS übersehen wurde.

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Voraussetzung für eine Diagnose ist definitiv ein Leidensdruck, das haben mir inzwischen mehrere Ärzte und Psychologen gesagt.

Und der ist absolut subjektiv.

Ich hab früher ja gar keine Symptome gehabt, zumindest hätte ich das so nicht gesehen.
Ich war nur ständig überfordert und hatte alle paar Jahre einen Zusammenbruch und Burnout

Die URSACHE dafür waren aber meine permanent verdrängten und maskierten Symptome, die ich heute erkennen und zuordnen kann

Ich bin in den 70er und 80er Jahren aufgewachsen und da hat man eben noch nicht in allem ein Symptom gesehen geschweige denn eine Störung

Zumindest nicht in meinem Umfeld, ich bin in einem dörflichen beziehungsweise Kleinstädtischen Umfeld und als viertes Kind in eine „Arbeiterfamilie“ mit einem arbeitsunfähigen Vater und einer überforderten Mutter hineingeboren.

BTW: gab es hier im Forum eigentlich schon mal eine Diskussion über den Zusammenhang von sozialer Herkunft und dem Alter, in dem die Diagnose gestellt wurde?
Ich bin nämlich davon überzeugt, dass das durchaus eine Rolle spielt

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Es ist wichtig und richtig, dass sich aktuell mehr und mehr mit der Thematik auseinandergesetzt wird.

Weg von exakt solchen klassischen Vorurteilen. Weg von dem klassischen “ADHS-Stigma”.

Was ist schon normal und was nicht? Wer definiert die “Normalbevölkerung”? Vermutlich jeder für sich selbst.

Klassisches Beispiel: “Der Faktor Mensch muss wie ein Bild in den Rahmen passen”.

Jeder ist sein eigenes Glückes Schmied. Perse hat diese Aussage nichts mit dem eigentlichen Thema zu tun.

Jeder Mensch, egal ob mit AD(H)s oder ohne, muss sein Leben bewältigen. Das müssen wir alle.

Konjunktiv vermeide ich persönlich. Warum sollte ich über etwas nachdenken, was nicht eintreten wird? Das ist verschenkte Zeit. AD(H)S bin ich, Ich bin AD(H)S, AD(H)S lebt mit mir und ich lebe mit AD(H)S.

Ohne das bin ich nicht der Mensch, der ich heute bin. Ohne das AD(H)S hätte ich nicht eine Ehrenrunde in der Schule gedreht und hätte dadurch nicht meine zukünftige Frau kennengelernt, die damals zwei Stufen unter mir war, weil wir nicht im selben LK (Leistungskurs) gelandet wären.

Und noch viele weitere Aspekte, die ich dem AD(H)S positiv zuschreibe wären nicht in Erscheinung getreten.

Natürlich und das muss ich auch klar sagen, gab es negative Phasen dabei. Rückwirkend sehe ich die Dinge anders. Wenn ich das heutige Wissen vor ü30 Jahren gehabt hätte…

“Wer die Gegenwart genießt, hat in der Zukunft eine wundervolle Vergangenheit”

“Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft” / “Wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit”

BTT: Es gibt im Magazin Spektrum “Gehirn&Geist” 11/25 zum Thema Neurodiversität einen sehr guten Artikel zu dem Thema ADHS Diagnostik. Die wissenschaftlichen Erklärungen, weshalb die Diagnosen momentan steigen in Kombination zur medizinischen Weiterentwicklung finde ich sehr stimmig.

Grüße

Ziemlich identisch bei mir, drittes Kind in einer Arbeiterfamilie in einem kleinen Dorf mit frühberentetem Vater und williger, bemühter, aber manchmal auch überforderter Mutter. :slightly_smiling_face:

Keine Ahnung, aber es wäre eine interessante Frage, ich habe diese Theorie auch schon aufgestellt.

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Na ja, vermutlich ist mein Leidensdruck so groß, da ich wohl noch zig andere Störungen mit mir rum schleppe wie Zwangsstörung, Angststörung, Panikstörungen Depressionen Autismus und Sucht.

Vielleicht ist ein ADHS alleine einfach weniger belastend. Aber wenn ich schon Superkraft höre, kriege ich die Krise. Ich empfinde es eher als super Behinderung.

Klingt irgendwie logisch, dass bei dir viel zu viel Dinge zusammengekommen, die alles noch viel schlimmer machen .

Das mit derm „schön reden“ von ADHS mit der Superkraft mag ich auch nicht .
Vor allem wenn es Stärken sind ordnet man diese sich nicht selbst zu, sondern dem ADHS. Außerdem müssten aus meiner Sicht rein theoretisch neben den Schwächen durch ADHS ja auch die Stärken von ADHS ja eigentlich durch eine Medikation zurückgehen.

Ich habe schon so einiges an ADHS Reportagen gesehen , aber es gelingt im wesentlichen nur das ÄRzte und Betroffene darüber berichten. Die Betroffenen sind zugleich auf dem ersten Eindruck oft freundliche, nette und offene Menschen die trotzdem im Leben zu stehen scheinen.
Sie berichten oft sachlich und lebendig und dadurch ist das Leiden schwer zu erfassen.
Sichtbare Auswirkungen werden nicht dargestellt oder innere Auswirkungen können garnicht so dargestellt werden wie es wirklich ist.

Man müsste mich z.B. morgens Filmen und dabei mein Gehirn wie es mit dem Wecker kämpft und mich blockiert . Alles müsste als Gedankenblasen wie in einem Comic zu sehen sein und zugleich meine Verzweiflung. Dann müsste man mein Gedanken sehen wenn mein Hirn plötzlich anspringt und wie ich das Chaos verzapfe und was plötzlich alles dazu führt warum ich zum 100Tausendsten Mal in meinem Leben zu späte los komme obwohl parallel ein Gedankengang die ganze Zeit mitabläuft, der gerne pünktlich loskommen möchte . Oder ich müsste als mehrere Personen in meinen Gedanken zu sehen sein , damit man versteht wieviele „Menschen-Gedanken“ ich morgens zu versorgen habe.
Das doofe ist einfach , wenn man mich sehen sollte , wie ich zur gleichen Zeit Zähne putzte, meine Haare föhne und dabei mit den Füßen noch über den Fussmassageroller rolle und dabei ein Video schaue, dass die logische Konsequenzen ja auch für uns ist, sowas nacheinander zu tun. Wie soll man erklären und begreiflichen machen, dass man es auch so sieht und trotzdem nicht so handeln kann.

Würde man dass in einer Reportage zeigen würden sich die meisten doch nur am Kopf packen und denken wie dumm das ist oder sich schrottlachen über die Situationskomik .
Und wie soll man so sowas „lustiges“ verzweifelt und mit Tränen rüberbringen, weil dass dann ja auch nicht zusammenpasst. Man kann dass innere Leiden von ADHS so schwer rüberbringen.

Wenn ich quicklebendig und „ehr lustig“ berichte wie das morgens bei mir abgeht ist nunmal für mein Gegenüber das Leiden nicht zu erfassen.

Wie sollen die Menschen ADHS verstehen und nachempfinden können wenn es nicht gelingt es wirklich zu zeigen .

Im Beispiel der berühmten aufgeschobene Steuererklärung bekommen die Menschen ja auch nur vermittelt, das es da irgendwas gibt was es scheinbar blockiert .
Steuererklärung mögen viele Neurotypische auch nicht und kennen auch das aufschieben, aber nur bis zu einem gewissen Punkt.
Wenn sie „aufschieben“ hören haben die nur einen Vergleich mit dem Gefühl ihres „Aufschiebens“ und denken dann dass diese Gefühl dann eben nur zwei Jahre länger dauert .
Diese Planungsunfähigkeit, Überprokrastination und schmerzliche Blockade im Gehirn und die Verzweiflung darüber können die nicht erfassen, weil es diese Disposition in deren Leben nicht gibt.

Trauer und Verlust eines Menschen ist ableitbar, weil man diese Gefühle im Normalfall kennt.
Den Verlust z.b eines Beines kann man sich zumindest bildhaft irgendwie vorstellen , aber eben nicht unser Dopaminwirrwar und das daraus resultierende Leiden.

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Das ist ja der Kern des Problems.

Je nach Schweregrad und Lebensbedingungen folgen auf die ADHS komorbide Störungen, wie beispielsweise Zwangsstörungen, Angststörung, Depressionen, Autismus und Sucht, ganz zu schweigen von psychosomatischen und körperlichen Unzulänglichkeiten.

Darum ergibt es auch wenig Sinn, von der „Superkraft ADHS“ zu sprechen.

Mein Kind hat das hyperkinetische Syndrom und es dachte auch schonmal, es hätte „Superkräfte“ woraufhin es aus dem Fenster des zweiten Stocks springen wollte.

Auf diese Weise sind tatsächlich schon Kinder mit ADHS ums Leben gekommen.

Ganz so einfach ist das nicht. Subjektive Empfindungen reichen nicht für eine Diagnosestellung aus.

In der S3-Leitlinie wird folgender Rahmen vorgeschlagen:

„ADHS lässt sich vom normalen Bereich durch die Anzahl und den Schweregrad von Symptomen und durch die ihre Assoziation mit einem bedeutsamen Ausmaß an Beeinträchtigung unterscheiden.
Die Beurteilung des Ausmaßes der Beeinträchtigung durch die Symptomatik ist von besonderer
Bedeutung, da ein spezifischer Grenzwert für die Symptomstärke, ab dem eine Beeinträchtigung
vorliegt, sich nicht generell bestimmen lässt.
Bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS treten Beeinträchtigungen im psychischen, sozialen und
schulischen / beruflichen Bereich auf.“

Außerdem möchte ich nochmal auf die testpsychologischen Möglichkeiten hinweisen.

Lieber Androidler,

immerhin ist es dir gelungen, eine lebhafte Diskussion anzuzetteln.

Einige mitfühlende Kommentare hast du ja schon bekommen. Gegenüber anderen erscheinst du wenig mitfühlend und sprichst ihnen oft ihr Leid ab., weil deines viel größer ist. Empathie ist eigentlich eine der Stärken von ADHS Menschen. Scheint bei dir unterentwickelt zu sein.

Ich finde du hast lange genug versucht, Dich feiern zu lassen für deine vielen vielen Störungen.Da kann ich nicht mithalten, Von denen, die du aufzählst, habe ich nur 4. Irgendwann ist es mal genug gejammert.

Mir scheint, du hast dich in eine Spirale von negativer Selbsthypnose und Selbstmitleid hineingesteigert. Da kannst du nur selbst aussteigen. Jetzt behaupte nicht, das könntest du nicht. Statt deine offensichtlich vorhandene Energie mit Jammern zu verschwenden, könntest du sie für etwas Selbstrefektion verwenden. Um die Krise zu kriegen und dich hier auszulassen, hast du ja genug Energie. Da entwickelst du Superkräfte. Spiegel hast du hier schon einige vorgehalten bekommen.

Altbekannt ist, dass ein ADHS selten allein kommt. Denn die Gene, die für ADHS “zuständig” und verändert sind, sind auch für andere Störungen verantwortlich. Kann es sein, dass dein ADHS lange unbehandelt oder falsch behandelt wurde? Und wenn es behandelt wurde, dass das nix geholfen hat, weil du ein hoffnungsloser Fall bist?? Wenn du einer Behandlung eine echte Chance geben würdest, dann, so glaube ich, könnte was draus werden. Der Preis, den du dafür bezahlen müsstest, wäre, weniger Mitleid abzubekommen.

Dass war für den Moment erstmal genug Gegenwind.

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Puh…

Das ist das genau das falsche Bild, was nicht informierte Personen (und leider auch noch viel zu viele Ärzte) von ADHSlern haben.

Entscheidend ist nicht die von außen gesehene Biografie.
Wenn Du Dir meine anschaust, dann bin ich auch problemlos durchs Leben gekommen und habe kein oder allenfalls leichtes ADHS.

Der entscheidende Punkt dabei ist:
Ich habe sehr früh gelernt, dass unerwünschtes Verhalten Konsequenzen für mich hat, die für mich schlimmer waren, als mich mit aller Kraft dazu zu zwingen, das erwünschte Verhalten (nach außen) zu zeigen. Was dabei in mir drinnen vorgegangen ist, hat keiner mitbekommen. Dafür habe ich mir eine Fassade aufgebaut, die niemand durchschauen kann. Mein Leben ist quasi ein einziges Schauspiel für andere. Das habe ich so perfektioniert, dass ich Inzwischen selbst nicht mehr weiß, wie und wer ich eigentlich bin.

In meiner Kindheit gab es kein ADHS. Da gab es nur „schwer erziehbare“ Kinder, die ins Heim kamen. Ich hatte schon als Kleinkind einen enormen Bewegungsdrang, der ziemlich früh im (Leistungs-)Sport kanalisiert wurde. Noch vor Schulbeginn.

Dazu kam, dass ich im Sport richtig gut war, „dazu gehörte“, meine Leistung anerkannt und gewürdigt wurde - was in keinem anderen Bereich meines Lebens so war. Im Sport bin ich aufgeblüht. Das war mein Element. Da konnte und durfte ich so sein, wie ich war. Wild, laut, schnell, kreativ, unkonventionell. Dort wurde das belohnt. Aber nur dort. Ansonsten war lieb, artig, leise, fleißig sein und machen, was die Erwachsenen sagen, angesagt.

Probleme im sozialen Miteinander hatte ich immer. Im Kindergarten oder in der Schule habe ich mich halt irgendwo dazugestellt, damit niemand merkt, dass ich keine Freunde habe. Schule habe ich vom ersten Tag an gehasst und hatte trotzdem gute Noten. Mir ist dank hoher Intelligenz alles zugeflogen, selbst wenn ich mich im Unterricht mit anderen Dingen beschäftigt habe. Aber selbst das wurde mir negativ ausgelegt. Ich bekam ständig vermittelt, dass ich noch mehr könnte, wenn ich nur wollte. Meine Eltern sagten mir ständig, wie faul ich bin.

Durch die guten Noten war ich bei den Lehrern beliebt und die haben mir einiges durchgehen lassen. Was wiederum zu Neid und Mobbing von Mitschülern führte. Nur „gab“ es damals noch kein Mobbing. Da wurde man halt „geärgert“, wenn man nicht in die Norm passte. Das ging so lange, bis ich (9 Jahre alt und die kleinste der Klasse) ein Mal komplett ausgetickt bin und den größten Jungen der Klasse (der immer vorneweg war) nach Strich und Faden vermöbelt habe. Die ganze Klasse stand fassungslos daneben. Keiner hat sich getraut, dazwischen zu gehen. Danach wurde ich wenigstens in Ruhe gelassen.

Ab 10-12 Jahre habe ich geschwänzt, geklaut, auf fremden Grundstücken randaliert, bin in fremde Lauben eingestiegen, ab 14/15 habe ich geraucht, gesoffen, bin ohne Früherschein mit dem Moped rumgeheizt (inklusive Verfolgungsjagden mit der Polizei), nachts aus dem Fenster gestiegen und habe mich rumgetrieben… Mein Glück war, dass ich in meiner Welt nicht an andere Drogen außer Nikotin und Alkohol gekommen bin. Noch viel mehr Glück hatte ich, dass ich nie bei all dem Scheiß erwischt wurde, den ich gemacht habe. Die Frage „Hatten Sie als Kind jemals Ärger mit der Polizei“ musste ich deswegen mit „nein“ beantworten.

Meine Eltern haben sich zu wenig für mich interessiert, als dass sie mitbekommen hätten, was ich wirklich so treibe. Hauptsache die Schulnoten sind gut, ich erledige meine Aufgaben im Haushalt, die Polizei steht nicht vor der Tür und ich werde nicht schwanger. Wie es mir wirklich geht, hat sie nie interessiert.

Nachdem ich ausgezogen bin, haben sich etliche Auswirkungen von ADHS gezeigt, die mich gezwungen haben, schnell zu lernen. Z.B., dass man Rechnungen bezahlen sollte, bevor das Konto gesperrt wird, dass man den Müll rausbringen und das Geschirr abwaschen sollte, bevor neues Leben entsteht, usw.

Ich habe mich immer mit Sport therapiert. Mit viel Sport. Sehr viel Sport. Auch Sport kann zur Sucht werden… Auch meine erste Depression habe ich selbst mit Sport „therapiert“. Und auch die zweite und die dritte… Auch in depressiven Phasen habe ich nach Außen immer den Schein gewahrt. Bin immer zur Arbeit gegangen - egal, wie scheiße es mir ging. Und wenn ich dann zu Hause war, habe ich mich aufs Sofa gehauen, die Glotze angemacht und mich bis zum nächsten Morgen nicht mehr wegbewegt.

Ich habe es erst mit über 50 geschafft, mir zum ersten Mal professionelle Hilfe zu holen. Bis dahin habe ich mich mit all meinen Problemen allein durchgeschlagen. Dass ich im Verlauf meines Lebens schon etliche depressive Episoden hatte, kam erst jetzt in der Therapie raus. Und selbst nach fast einem Jahr gibt es immer noch Überraschungen in der Therapie.

Weder mein Arzt, noch meine Therapeutin, noch ich selbst zweifeln an der ADHS-Diagnose. Und niemand zweifelt daran, dass ich darunter leide. Auch wenn es von außen ganz anders aussehen mag. Und ich bin mir sicher, ich bin kein Einzelfall.

Genau so leide auch unter meinen Schmerzerkrankungen - auch wenn ich nicht jeden Tag jammere, dass ich Schmerzen habe. Die sind halt da. Jeden Tag. Ob ich deswegen jammere oder nicht. Die werden auch nicht besser, wenn ich mich deswegen selbst bemitleide.

Mein Zauberwort heißt: Akzeptanz. Ja, ich habe Schmerzen. Ja, ich habe ADHS, Depressionen, PTBS und noch ein paar unschöne Sachen. Aber ich bin nicht Schmerzen, ADHS und alles andere. Ich kann damit leben, statt einen aussichtslosen Kampf dagegen zu führen und mich dem Selbstmitleid zu ergeben. Ich erfreue mich an den Dingen, die ich kann, statt den Dingen nachzutrauern, die ich nicht kann.

Sind meine Krankheiten Behinderungen? Sicher. Wurde sogar amtlich festgestellt. Aber ich habe immer noch ein stückweit selbst in der Hand, wie sehr ich mich davon behindern lasse.

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Ich danke dir für diesen Text!

So ist es nämlich!

PS Das könnte ich geschrieben haben, bis auf paar Kleinigkeiten. Ich hab nie wirklich geschwänzt, war aber ständig zu spät zur ersten Stunde, die Schule war dann abgeschlossen. Meine Therapie war nicht Sport, sondern Sex. Bin mit jedem mitgegangen, der mich mitgenommen hat.

Das unterschreibe ich!

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Das war bei mir auch so. Aber ich hatte ab der 6. Klasse nen Schlüssel für den Lehrereingang, da ich als Nebenjob in der Schule geputzt habe. :upside_down_face:

Mmm. Weiß auch nicht, vielleicht steht bei mir auch sehr stark die Zwangserkrankung und der Autismus im Vordergrund.

Ich kriege die aller einfachsten Dinge wie Spülen und Körperpflege kaum hin.

Steuererklärung mache ich gerne und beschäftige mich ewig damit.

Ich brauche einfach für jede Winzigkeit des Alltags unendlich lange und mache es maximal kompliziert und gründlich.

Dazu habe ich eine unbändige Unruhe in mir und mein Gehirn produziert am laufenden Band Gedanken. Bin also bei allem , was mich nicht vollkommen einnimmt mit den Gedanken woanders. Muss dann jede Handlung zig mal nach kontrollieren.

Und sobald TV läuft geht nix parallel. Absolut Single tasking fähig.

Ob ADHSler empathisch sind weiß ich nicht.

Ich kenne nur ADHSler, die distanzlos waren , einen in der Schule geärgert und provoziert haben und die Grenzen nicht kannten. So kenne ich das zumindest aus der Schule. Habe ich als Kind auch gemacht und zeitweise heute noch. Man provoziert und ärgert andere halt gerne. Warum das so ist, weiß ich nicht, aber kenne das von anderen mit ADHS auch so.

Aber ich kann auch sehr ernsthaft, empathisch und nett sein, das stimmt auch. Je nach Laune und persönlichem Frustlevel.

Lies dich doch vielleicht mal quer durchs Forum. Da lernt man das Spektrum mit seinen vielen verschiedenen bunten Facetten eigentlich schon sehr gut kennen. Da ist alles dabei - u.a. auch ganz viel Empathie :slight_smile:

Vielleicht hilft auch das ein oder andere Buch, oder ein Podcast dabei, das Spektrum besser kennenzulernen.

Du könntest dir auch eine der ADHS DiGA verschreiben lassen (ORIKO z.B. - hab den Namen der anderen vergessen (Attexis?)) und es damit entspannt zu Hause versuchen.

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