Hallo zusammen,
ich habe jetzt schon so viel in unterschiedlichen Foren und Artikeln gelesen und fühle mich, als würde ich mich nur noch im Kreis drehen. Mit dem Psychologen, der mich mit ADHS diagnostiziert hat und für die Einstellung meiner Medikation verantwortlich ist, habe ich nur sehr selten Kontakt. Deswegen wollte ich einfach mal hier schreiben und eure Erfahrung bzw. Meinung hören.
Zu meinem Hintergrund: Ich bin 34 Jahre alt und männlich. Ich wurde 2019 noch zur Wehrpflicht eingezogen und hatte dort in den ersten Tagen eine Panikattacke, vermutlich aus einer Anpassungsstörung heraus. Damals habe ich es eher als Depression eingeordnet und so wahrscheinlich auch abgespeichert. In der Psychotherapie haben wir in diesem Jahr festgestellt, dass ich vermutlich ein großes Bedürfnis nach Selbstständigkeit bzw. Autonomie habe. Da war die Bundeswehr natürlich genau das Gegenteil.
Nach diesem Erlebnis hatte ich eine Zeit lang Psychotherapie mit Fokus auf Angst, weil mich danach immer die Angst getrieben hat, was ich mit meiner Zukunft anfangen soll. Dazu kam noch die Angst vor der Depression. Zudem wurde ich mit Venlafaxin eindosiert. Ich bin dann von zu Hause ausgezogen und habe studieren angefangen. Da ging es mir am Anfang richtig gut. Psychotherapie hatte ich dann nicht mehr, habe aber die meiste Zeit weiter Venlafaxin genommen. In den 2010er Jahren ging es mir die meiste Zeit eigentlich ganz gut. Es gab immer mal wieder leichte Panikanfälle, die danach immer in ein paar Tagen der „Depression“ geendet sind. Teilweise hielt das auch 1-2 Wochen. Aber nie wirklich Monatelang. Die Diagnose wurde auf rezidivierende depressive Störung angepasst. Wir haben ein paar Mal versucht auf andere Anti-Depressiva zu wechseln. Aber so wirklich hat das nicht funktioniert. Ich bin nicht sicher wie lange wir die immer ausprobiert haben, aber meistens war es wohl, weil sich nichts geändert hat oder weil ich zu viel Angst hatte, das Venlafaxin abzusetzen. Die Angst begleitet mich auch heute noch.
Mein Vertrauen darin, dass mir irgendwas helfen kann ist da schon angeknackst worden.
Dann kam Corona und die Isolation hat mich nochmal so richtig psychisch fertig gemacht. Ich dachte immer ich wäre Introvertiert, habe aber unterbewusst schon vom Body Doubling profitiert, wenn ich zur Arbeit bin. Darauf hin habe ich mir wieder Psychotherapie geholt. Der neue Therapeut kam ziemlich schnell zum Schluss, dass mein primäres Problem nicht die Depression ist, sondern die Panikstörung. Nur mein Verhalten darauf führt mich dann in die Depression. Es hat 3 weitere Jahre gedauert und erst vor ein paar Wochen, habe ich das auch begriffen. Er hat mir dann geholfen mit der Panik besser umzugehen und ich habe angefangen wieder aktiver am Leben teilzunehmen. Habe in meiner Freizeit angefangen regelmäßig ins Fitnessstudio zu gehen und bin einem Verein beigetreten. Der Höhepunkt war dann die erste Reise ins Ausland seitdem ich 15 war. Ich hatte immer Angst davor, weil ich Angst davor hatte, im Urlaub Kontrollverlust zu erleiden (Autonomie durch Kontrolle über meine eigenen Gefühle zu verlieren).
Das war letztes Jahr. Anfang dieses Jahres wollte ich so weitermachen. Ich hatte auch erneut einen Urlaub geplant. Kurz vorher kam wieder eine Panikattacke. Und ich bin ein so tiefes Loch gefallen, dass ich das erste Mal in eine psychosomatische Klinik bin. Dort hatte ich mich dann viel mit mir selbst beschäftigt, was in mir vorgeht. Ein Thema was dann ständig aufkam, war dass ich meine Gedanken einfach nicht unter Kontrolle habe und oft das Gefühl habe, dass mein Verstand zu schnell läuft und deshalb auch oft negative Gedankenkreise entstehen. Jemand aus meiner Gruppe meinte dann, dass es sich für sie nach Hochbegabung oder ADHS anhört. ADHS hab ich sehr schnell verworfen. Immerhin hatte ich studiert und war eigentlich ziemlich gut in meinem Job.
Ich bin dann aus der Klinik gekommen und habe mich langsam wieder gefangen. Ich musste beruflich etwas verändern, weil ich mich mit der Tätigkeit nicht mehr wohlgefühlt habe. Ich konnte innerhalb der Abteilung dann tatsächlich eine andere Tätigkeit aufnehmen und habe dann stufenweise wieder angefangen zu arbeiten. Meine Stimmung hat sich dann mit der Zeit immer mehr stabilisiert. Allerdings hatte ich trotzdem die meiste Zeit mit innerer Unruhe zu kämpfen, aber auch gleichzeitig mit fehlendem Ziel oder Antrieb im Leben. Und trotzdem habe ich die Zähne zusammen gebissen und viel mehr Aktivitäten im Leben aufgenommen.
Ich bin jetzt an einem Punkt an dem ich 5-7x die Woche Sport unterschiedlicher Arten mache. Fitness, Kampfsport. Badminton, Schwimmen. Zusätzlich zur Tätigkeit in der DLRG, bin ich auch der Feuerwehr beigetreten und habe da regelmäßig Übungen. Und ich habe mir einen Pianolehrer geholt, damit mein e-Piano nicht mehr nur in der Ecke steht und verstaubt, weil das mit dem Selbst lernen so gar nicht geklappt hat.
Alle diese Tätigkeiten machen mir Spaß und ich fühle mich am Abend danach meistens super und habe teilweise sogar noch Motivationsschübe, so dass ich sogar eher langweilige Aufgaben erledigen kann. Das hatte ich auch schon früher in meinem Leben. Ich war gegen Abend schon immer motivierter. In meinen depressiven Phasen war das auch immer deutlich. Am Morgen ging es mir richtig schlecht, am Abend dann meistens schon deutlich besser.
Dann, durch Zufall bin ich auf ein Video über ADHS gestoßen. Darüber wie man das Hirn stimuliert. Den Titel fand ich interessant, weil ich schon immer das Gefühl hatte, dass meine Depression/Angst/negativen Gedanken kommen, wenn mein Hirn zu viel Zeit zum denken hat. Und dann bin ich im Rabbit Hole gelandet. Mehr und mehr war ich überzeugt, dass ich ADHS haben könnte. Also habe ich mich diagnostizieren lassen und tatsächlich. In den Zeugnissen der Grundschule war es schon auffällig, aber damals wurde es ja nicht Ernst genommen. Mit der Diagnose machte so viel meines Verhaltens Sinn. Es war das fehlende Teil im ganzen Kontext meiner psychischen Probleme. Und damit kam auch die Hoffnung, dass die Medikation mir eventuell wieder ein normales Leben ermöglichen kann, zusätzlich zu all den tollen Dingen die ich gerade im Leben laufen hatte. Ich habe von anderen gelesen, die beschreiben wie sich ihre Depression durch die Medikamente plötzlich komplett verabschiedet hat. Wie andere berichten, dass sie plötzlich in der Lage waren, langweilige Routine-Aufgaben zu erledigen ohne vorher einen großen Kampf mit sich selbst führen zu müssen. Gleichzeitg war ich aber auch skeptisch. Immerhin hatte ich in der Vergangenheit auch nie wirklich die großartige Erfahrung machen dürfen, dass mir Medikamente oder andere Mittel wirklich die Erleichterung verschaffen, die ich wirklich erhofft habe.
Wir haben mit Medikinet begonnen. Über ein paar Wochen hinweg bis auf 80mg hoch. Ich konnte keine positive Wirkung feststellen. Mein Blutdruck ist hoch, ich hatte einen trockenen Mund. Als ich am Anfang von 10mg auf 20mg bin und das am Morgen genommen hatte, hatte ich am Abend immer einen heftigen Einbruch der Stimmung. Zusätzlich hatte ich fast eine Panikattacke, als ich Kaffee getrunken hatte. Darauf hab ich dann verzichtet und wir haben die Dosis auf 2x am Tag aufgeteilt, dann war auch der Stimmungsabfall am Abend weg. Aber sonst war die Wirkung eher enttäuschend.
Also Umstieg auf Elvanse. Wir sind relativ schnell auf 100mg. Keine sichtbare Wirkung. Blutdruck wieder normalisiert wie vor dem Medikinet. Dann sind wir noch auf 120mg hoch. Einen Sonntag lang hatte ich dann nichts genommen und habe keinen Unterschied bemerkt. Darauf hin meinte mein Psychologe nur, dass ich wohl nicht auf Stimulanzien reagiere. Das hat mir einen Schlag versetzt, weil ich schon so viel Hoffnung darin hatte. Als ich es dann am Tag danach ausgelassen hatte, hatte ich aber deutliche Probleme mich auf das Gespräch mit den Kollegen beim Mittagessen zu konzentrieren. Am Abend war ich sehr leicht reizbar. Dieses Verhalten kannte ich in den letzten Jahren nur, wenn ich einen stressigen Tag hatte und viel mit Menschen interagiert habe. Daher dachte ich auch zusätzlich, ich wäre introvertiert.
In Retrospektive denke ich, dass da vielleicht schon eine Wirkung war. Ich scheine mit der Medikation viel offener in der Interaktion mit anderen zu sein und am Abend nicht so erschöpft davon. Auch scheint meine innere Unruhe weniger geworden zu sein. Ich habe das alles meinem Psychologen auch nochmal beschrieben.
Er meinte dann, dass ich nochmal Medikinet auf 120mg probieren könnte. Dazu habe ich dann meine verbliebene Dosis verwendet, um über ein paar Tage hinweg auf die 120mg hoch zu dosieren. Ich hatte das Gefühl deutlicher die Wirkung vom Medikinet verfolgen zu können. Wann die erste Dosis ihren Höhepunkt erreicht und abflacht, wann die zweite einsetzt. Am ersten Tag der Einnahme der höheren Dosis hatte ich ein leichtes Wattegefühl. Das war aber das einzige, was ich wahrnehmen konnte. Am Tag als mir die Medikamente ausgegangen sind, konnte ich nur die halbe Dosis nehmen. Ich hatte das Gefühl überhaupt nicht motiviert zu sein.
Am nächsten Tag hatte ich dann den Termin bei meinem Psychologen. Ich habe ihm nochmal meine Beobachtungen der Tage davor geschildert. Er meinte, dass wir dann nochmal mit Elvanse auf 120mg versuchen sollten. Allerdings hat er auch gesagt, dass meine positiven Effekte auch nur Placebo sein könnten und dass Patienten normalerweise schon deutlicher wahrnehmen könnten, wenn die Medikamente wirken. Ich habe auch einmal auf reddit den Kommentar gelesen, dass man entweder weiß ob die Medikamente wirken oder nicht. Wenn man sich nicht sicher ist, würden sie nicht wirken.
Also nehme ich seit ein paar Tagen wieder 120mg Elvanse. Grundsätzlich geht es mir nicht schlecht. Aber es ist trotzdem jeden Tag, vor allem Morgens, immer wieder so ein Kampf mich selbst davon zu überzeugen, dass es mir den Tag über immer besser gehen wird. Vor allem am Abend/Nachmittag nach den jeweiligen Freizeittätigkeiten. Und das ist ja auch in den allermeisten Fällen so. Und trotzdem, jeden Morgen dieser fehlende Antrieb, die Lustlosigkeit. Ich führe das auf fehlende Motivation durch fehlendes Dopamin zurück, aber ich nehme doch schon Stimulanzien die mit Dopamin helfen sollen… warum wird es nicht besser? Wenn ich kein Problem mehr hätte mich auf die Dinge zu freuen die mir Spaß machen und zumindest nicht so große Schwierigkeiten mit Sachen, die getan werden müssen… wenn ich mich bei solchen Sachen nicht jede Sekunde mit den Gedanken quälen würde, wann es endlich vorbei ist… wenn ich wüsste das die Medikamente auch gegen dieses Problem helfen. Dann hätte ich glaube ich die emotionale Sicherheit, dass mich die Angst vor „Langeweile“ nicht mehr überwältigt.
Aktuell nehme ich vermehrt Nebenwirkungen wahr. Ich habe „Zungenpressen“ (Zunge an Zähnen entlang schaben) und teilweise ist mein Kiefer oft angespannt. An den Handgelenken ist leichte Neurodermitis aufgetaucht, die ich bisher nur selten in der Ellenbeuge und auf den Füßen hatte. Mein Mund ist wieder trocken und mein beim Sitzen erhöht. Zudem habe ich beim Wasserlassen häufig das Gefühl, dass meine Blase nicht komplett leer wird.
Aber das alles wären Nebenwirkungen die ich gerne in Kauf nehme, wenn die Stimulanzen wirklich wirken. Auch wenn es wirklich nur die Fähigkeit ist mehr mit anderen zu Interagieren ohne davon zu erschöpfen. Und es scheint auch zumindest leicht die Motivation zu stabilisieren. Zumindest scheinen diese Tage komplett ohne Motivation seltener zu sein.
Es macht mich fertig und verzweifelt, dass es nicht einfach mal laufen kann. Es bestätigt alles nur wieder mein pessimistisches Denken „Hilft ja eh alles am Ende nicht wirklich was“.
Meine Gedanken waren, ob man vielleicht mal unretadierte Medikation am Morgen probieren sollte. Oder vielleicht doch Mal Dexamphetaime statt Lisdexamphetamin. Oder ob ich vielleicht doch noch höhere Dosierungen brauch.
Wir haben vergangene Woche auch Blut abgenommen um die Genvarianten zu prüfen ob ich vielleicht einen zu starken Metabolismus habe und deswegen so hohe Dosierungen brauche. Das würde zumindest die Dosierungen für Elvanse und Venlafaxin (ich habe die letzten 15 Jahre fast durchgängig 300mg genommen) erklären, nicht aber das Medikinet.
Oder ist vielleicht Dopamin gar nicht das Problem hinter meiner fehlenden Motivation? Leide ich vielleicht einfach an einer stärkeren Dysphorie, auch jetzt ohne aktuelle depressive Episode?
Das war jetzt eine Menge Text, aber ich wollte auch die Umstände verständlich machen, gerade auch mit meinem Hintergrund und woher mein Pessimismus gegenüber einer echten Verbesserung kommt.