Zweifel an eigener Diagnose durch "neurotypische" Wirkung der Medikamente berechtigt?

Hallo zusammen,

ich bin neu hier und habe vor ein paar Wochen mit Mitte/Ende 30 die Diagnose ADHS durch einen auf ADHS spezialisierten Psychiater bekommen. Für meinen Geschmack war die Diagnostik aber nicht sehr ausführlich (ca. 1 Std. Gespräch + 2 Fragebögen à 25 Fragen), weswegen ich nicht sicher bin, ob ich der Diagnose überhaupt trauen soll. Ich habe Elvanse 30mg verschrieben bekommen und dieses letzte Woche einen Tag ausprobiert (ca.08.30 Uhr auf nüchternen Magen). Die Wirkung war jedoch gar nicht so wie ich es mir erhofft hatte. 2-3 Stunden war ich sehr getrieben, aufgekratzt, mitteilungsbedürftig, tatendrangig und etwas gleichgültig. Konzentration war nicht besser, nur anders, konnte arbeiten, hatte aber das Gefühl meine Aufmerksamkeit noch weniger lenken zu können als sonst. Bis dahin war es eigtl. noch ok, weder sehr positiv, noch sehr negativ, aber auf jeden Fall war ich nicht wie erhofft klarer oder ruhiger, sondern noch nervöser. Danach wandelte es sich aber nach und nach zu einem negativen Gefühl, zu einem eher apathischen, zombieartigen, aber immer noch auch sehr nervösen Zustand. Ich hatte auch das Gefühl, dass jemand meine Sinne ausgeschaltet hat und ich nichts mehr um mich rum mitbekomme. Konnte bis zum Abend kaum was essen und wurde dann auch echt depressiv, verwirrt, ängstlich und traurig, ganz zu schweigen von den Kopfschmerzen. Um schlafen zu können, habe ich Melatonin 1mg genommen. Schwindelig und psychisch aufgelöst bin ich dann doch eingeschlafen. Auch am nächsten Tag war ich noch etwas depressiv, ängstlich, zerstreut. Das Medikament hat also das Gegenteil von dem bewirkt was ich mir erhofft hatte und ich dachte dann, dass diese Wirkung so bei einem neurotypischen Menschen zu erwarten ist, aber doch sicher nicht bei einem ADHSler. Daher zweifele ich seitdem sehr stark an meiner Diagnose. Findet ihr diese Zweifel berechtigt? Könnt ihr das nachvollziehen? Was haltet ihr für wahrscheinlicher als Erklärung für die unangenehme Wirkung: eine fälschlich gestellte Diagnose oder eine Überdosierung? Der Psychiater hatte zu mir gesagt „Anhand der Wirkung der Medis kann man keine Rückschlüsse auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer ADHS schließen“, aber meine (nicht spezialisierte) Therapeutin bestärkt mich wiederum in meinem Zweifel an der Diagnose, weil ich auch ein Mensch bin, der nach Identität und der Aufmerksamkeit von Ärzten sucht und mir die ADHS Sache vielleicht einfach einbilde. Ich fühle mich sehr unsicher und weiß nicht wie ich weiter vorgehen soll bei dem ganzen Thema.

Vielen Dank im Voraus für eure Einschätzungen.

LG

Hi, willkommen im Forum!

Schlussfolgerungen aus einem Tag Einnahme sind nicht repräsentativ. Es braucht schon paar Tage um eine Tendenz bei Medikamenten wie Elvanse, Ritalin & Co zu erkennen. Daher Geduld! Ich war die ersten Tage auch durch den Wind, aber hatte nicht die negativen Erscheinungen wie du.

Ärzte schmeißen mit den Diagnosen nicht um sich. Manche machen übertriebene Studien als Diagnosen mit mehreren Terminen. Manche Ärzte haben einfach die langjährige Erfahrung und machen nicht diesen Hürdenlauf, wie ihn manche Kliniken betreiben. Kliniken sammeln bspw. durch die Diagnostik auch noch haufenweise Daten für wissenschaftliche Studien. Da wird dann alles mögliche in mehreren Terminen gemacht. Meine Diagnose war ein sehr langes Gespräch, wo ich diverse Notizen gemacht habe und meine Schulzeugnisse mitgebracht habe. Ich habe keine Fragebögen ausgefüllt.

Schau dir mal diesen Beitrag an. Da sind Parallelen zu dir erkennbar: Elvanse - zum ersten Mal :)?

Wie schaut es mit Koffein aus? Ist in Kaffee, Redbull, Cola usw. vorhanden. Koffein ist auch eine Stimulanz und interagiert mit Elvanse & Co. Daher idealerweise weglassen bei der Eindosierung. Solltest du aber Koffein-Junkie sein, wäre plötzliche Koffeinabstinenz mit Absetzungserscheinungen verbunden, Nebenwirkungen die auf Elvanse übertragen werdne.

Ne, Elvanse soll die Symptomatik von ADHS reduzieren. Welche Symptome hast du? Es heißt nicht umsonst Eindosierung. Zudem unklar ist, ob die 30mg deine Dosis sind. Vielleicht brauchst du mehr, vielleicht weniger. Das wird sich zeigen. Vielleicht ist Elvanse aber auch nicht das ideale Mittel für dich, sondern ein anderes. Die Eindosierung ist kein Prozess von Stunden, sondern Wochen und Monaten. Über Wirkung von Medikamenten über das Vorhandensein der Diagnose ADHS zu schließen zeigte sich auch als Fehlschluss.

Pflichtlektüre: Eindosierung von Medikamenten bei ADHS

Meine Idee wäre jetzt, dass du die 30 mg aufteilst und es mit halber Dosis probierst. Elvanse lässt sich gut in Wasser aufteilen:

  • Kapsel öffen
  • Inhalt in einen Messbecher ausschütten
  • 300 ml Wasser in den Messbecher
  • Umrühen
  • 150 ml entspricht dann 15 mg Elvanse
  • Rest in Kühlschrank stellen (bitte darauf aufpassen, dass da niemand rankommt)
  • Maßgeblich ist natürlich immer das, was der Arzt verordnet

Ich war auch schon bei einem Psychotherapeuten, der mitteilte, dass ich sicher kein ADHS haben kann. Der war aber nicht spezialisiert und hatte über das Thema keine Ahnung, was ich mit paar Fragen stellte. Vielleicht hilft dir diese Seite beim Sortieren deiner Gedanken: Differentialdiagnostik bei ADHS

Selbstzweifel an der Diagnose kommen oft vor.

Was für Symptome und Schwierigkeiten hast du im Leben, die für dich auf ADHS verweisen?

Viel Erfolg!

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Hallo,
vielen Dank für deine schnelle Antwort. Bin schon dabei alles zu lesen was du mir asn Links geschickt hast. :slightly_smiling_face:

Ja, habe ich auch schon dran gedacht. Bin leider durch den Erstversuch ziemlich verängstigt, weil es wirklich unschön war und ich mir denke, wenn ich kein ADHS haben sollte, schadet mir das Medikament bestimmt. Ich denke grade an eine noch geringere Dosis, wenn überhaupt, also nur 10 oder sogar 5mg. Oder glaubst du, das wäre sinnlos, weil es dann gar nicht wirken kann? (Ich nehme auch Sertralin gegen meine Ängste und Depressionen und hier profitiere ich von einer vergleichsweise niedrigen Dosis schon relativ stark.)

Vielen Dank, dass du fragst. Ich könnte einen Roman schreiben mit Hinweisen irgendwie, aber ich versuche es mal zusammenzufassen:
Meine Gedanken springen oft von einem Task zu einem anderen und ich halte es schlecht aus, wenn Aufgaben, Gespräche etc. zu lange dauern. Ich räume zum Beispiel die Spülmaschine immer nur halb aus (maximal), weil mich das sonst zu sehr langweilt. Ich mache auch einfach oft was nicht zu Ende, lese z.B. ein Buch nur zu einem Zehntel und fange auch in der Mitte des Buches an zu lesen, ich trinke meine Gläser und Tassen nicht aus, male Bilder nicht zu Ende, lege tausend Dinge in den Warenkorb um dann zwei davon zu kaufen usw. Als Kind habe ich meine Eltern immer mit dem Spruch „Mir ist so langweilig“ genervt.
Wenn mich etwas gar nicht interessiert, kann mein Hirn auch wirklich null Aufmerksamkeit aufbringen (alle mathematisch-naturwissenschaftlichen Themen). In meiner Schulzeit habe ich für die entsprechenden Fächer auch nie etwas getan, weder Hausaufgaben noch Lernen. Zum Durchkommen hat gereicht, dass mir mein Bruder manchmal einen Tag vor der Schulaufgabe das Notwendigste aus dem Stoff der letzten 8 Wochen erklärt hat oder ich einen Merksatz aus dem Physik-Buch abgeschrieben habe um nur einen 5er statt einem 6er zu bekommen. :joy:
Ich bin außerdem sensibel ohne Ende, ich fühle mich andauernd reizüberflutet (von Menschen, Stimmungen, Gefühlen, Geräuschen, Gerüchen, Sonne, Temperaturen, Stoffen usw.) und bin auch immer sehr schnell erschöpft und wirklich wenig belastbar, was mich unglaublich stört und depressiv macht.
Ich bin auch immer innerlich angespannt und nervös, spiele an irgendetwas rum, stehe oft auf, kritzel irgendwas voll usw. und brauche nach der Arbeit oder auch anderen sozialen Situationen mega lang um „runterzukommen“.
In meinem Leben bin ich, wie auch andere Mitglieder meiner Familie, beruflich deutlich hinter meinen (intellektuellen) Fähigkeiten zurück geblieben, hatte außerdem Probleme mit Alkohol- und Drogenmissbrauch sowie diverse psychiatrische Diagnosen (u.a. auch mal BPD, hat aber nicht so ganz gepasst und wurde eigtl. noch „unprofessioneller“ bzw. schneller diagnostiziert als das ADHS) und zwei Klinikaufenthalte wegen Depressionen.
Was mich zweifeln lässt sind:
a) meine guten Zeugnisse im Grundschulalter. Hier war ich anscheinend ein „ruhiges“ Kind, das alles richtig gemacht hat und auch unbedingt alles richtig machen wollte. Man muss aber auch sagen, dass mir das alles sehr leicht fiel. Erwähnt wird in den Zeugnissen halt nur meine geringe Frustrationstoleranz und mein Perfektionismus. Der Psychiater meinte halt, es wäre nicht unüblich, das weibliche ADHSler als Kind nicht wirklich auffallen. Ich kann mich leider nicht gut erinnern an meine Kindheit. Einzelne Punkte wie z.B. das Vergessen und Verlieren von Schulheften oder das einmal im Jahr aufgeräumte Zimmer weisen schon auf ADHS, aber die Anekdoten sind nicht ausreichend um mich zu überzeugen. Ich kann mir auch vorstellen, dass meine Eltern selbst neurodivergent sind und sie mich deswegen auch nicht als „unnormal“ erlebt haben.
b) meine nicht paradoxe Wirkung auf Koffein (werde nervöser davon und kann abends nicht schlafen, wenn ich nach 14 Uhr einen schwarzen Tee hatte) und ebenso auch diese nicht paradoxe Wirkung jetzt auf das Elvanse halt.
c) meine Komorbiditäten, die ja sowohl Symptome bzw. Folgen eines ADHS sein können als auch die Ursache mancher ADHS-Symptome (z.B. innere Unruhe typisch bei Angststörung).

Ich denke auch darüber nach ob zusätzlich ASS und/oder sogar Hochbegabung vorliegen könnten, aber das ist ja noch schwieriger, dafür eine vernünftige Diagnostik zu kriegen.

Ich traue meinen eigenen Gedanken halt genausowenig wie denen der Ärzte und Therapeuten und habe schreckliche Angst mich in die ein oder andere, falsche Richtung zu verrennen quasi. Ich bräuchte einen Therapeuten, der sich mit Neurodivergenzen auskennt und mit mir mehrere Stunden jedes Pro und jedes Contra einzeln auseinander nimmt, fürchte ich. :exploding_head:

Danke fürs Zuhören. Und sorry für die Länge des Textes. :face_with_peeking_eye:

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Hallo und herzlich willkommen,

nein, das jedenfalls stimmt nicht. ADHS-Medikamente können Nebenwirkungen haben, bei ADHS-lern und bei Nicht-ADHS-lern. Aber nicht schlimmere bei Nicht-ADHS-lern. Du musst also nicht deswegen Angst haben vor einer falschen Diagnose.

Die Informationen reichen nicht aus, um die Diagnose zu bestätigen und wir sind eh keine Ärzte und selbst wenn bist du ja weit weg und nicht hier - aber was du schreibst, spricht jetzt wirklich nicht gegen ADHS. Sondern ganz viele Aspekte sprechen dafür.

Gute Zeugnisse? Hatte ich auch. Immerhin steht was drin von

Wieso nur??

Und zappelig werden von Koffein? Ist auch nichts Besonderes bei ADHS.

Und nicht jede/r, der ADHS hat reagiert gleich! Ich reagiere zum Beispiel auf Kaffee, als wäre es Wasser, BEVOR ich wusste, daß ich ADHS habe. Mein Mann und ich wechseln uns immer auf der Fahrt in den Urlaub mit Autofahren ab. Er trinkt Kaffee und Cola und ich Red Bull. Aber wirklich wach hat es mich nicht wirklich gehalten - es war eher der Schlaf, der mich wach hielt, indem ich einfach vorher früher zu Bett ging.
Jetzt, mit den Medis, darf ich Kaffee erst nach 15 Uhr nicht mehr trinken.
Ich vermisse ihn auch nicht!
Aber hättest Du zu mir gesagt, ich solle aufstehen OHNE Kaffee zu bekommen, wäre ich Dir an die Gurgel gegangen ;-)))

Also Du siehst, Du bist hier bestimmt richtig. Und Du wirst hier ernst genommen. Ich glaube auch, daß es keine Fehldiagnose war. Die Ärzte nehmen sich sehr viel Zeit und fragen Dich auch nach Deiner Befindlichkeit. Wäre es eine Fehldiagnose, würdest Du es herausfinden mit dem Arzt Deines Vertrauens, da bin ich mir sehr sicher.