Hallo liebe Leutz!
Hier ist der Grund, wieso ich überhaupt in dieses Forum gekommen bin: Ich glaube, mein behandelnder Arzt ist nicht explizit in ADHS geschult, und macht (meiner Meinung nach?) komische Entscheidungen. Ich hätte gerne eure Meinung! Vielleicht stimmt das ja aber auch alles so, dann könnt ihr mich beruhigen und ich muss nicht unnötig Staub aufwirbeln…
Dieser Post ist sehr lang. Das tut mir Leid. Ich hätte es bestimmt auch kürzer schreiben können, aber dieses Thema ist mir wichtig, und ich möchte es gut beschreiben.
Der erste Abschnitt kann gerne übersprungen werden, da geht es hauptsächlich um meine persönlichen Umstände/Probleme die mich haben Hilfe suchen lassen, falls die irgendwie relevant sind. Die eigentliche Frage / das eigentliche Problem ist im zweiten Abschnitt! Das ist der wichtige Teil.
1. Meine Situation:
Ich bin Mitte 20, und habe eigentlich so lange ich mich erinnern kann, Schwierigkeiten. In der Kindheit und Jugend waren es Verträumtheit, Rebellion und Aggressionen, verpasste Deadlines, ich war eine Quasselstrippe und ein „Warum? Wieso? Weshalb?“ Kind, ungeduldig, un-organisiert, jedoch nicht zappelig / hibbelig. Nur … nervig. Ich habe mich selbst immer unter immensen Performance Stress gesetzt und hatte immer das Gefühl, dass ich dreimal so viel Arbeiten muss, um auf das gleiche Ergebnis wie meine Mitmenschen zu kommen. Und das bei gleichzeitiger Unfähigkeit dies tatsächlich zu tun, und dann ein sehr großer Ehrgeiz, mich trotzdem beweisen zu müssen — „Ich bin ja schlau, das muss doch gehen! Niemand darf erfahren, wie schwierig mir das fällt, dann bin ich ja weniger wert.“ Das war sehr gesund, ich weiß. . Und dann kam die Frustration, wenn nichts funktioniert hat. Ihr kennt es bestimmt.
(Meine große Schwester wurde im jungen Alter mit ADHS diagnostiziert. Geholfen hat mir das nicht, da sie im Gegensatz zu mir sehr hyperaktiv und zerstreut war, und insbesondere mit ihrem Narkolepsie Leiden viel weniger sture Selbstkontrolle besaß. Ich vermute, sie hatte wenig bis keine Methoden, um sich selbst zu helfen. Was meine Eltern dann als „ADHS Musterbeispiel“ verinnerlicht hatten, und ich wahrscheinlich auch.)
Im Erwachsenenalter habe ich dann langsam gelernt, mit vielen Dingen besser umzugehen. Aber die inneren Probleme blieben: Interpersonelle Probleme, Unfähigkeit mich auf die Uni zu konzentrieren, 10 Wecker am Tag nur um Wäsche zu waschen und ans Mittagessen zu denken, plötzliche 6-Stündige Phasen der Obsession über „schöne“ Themen bei welchen ich dann alles andere vergesse. Um 6 Uhr das Haus zu verlassen ist ein Prozess, der um 3 Uhr anfängt. Wenn ich mal arbeiten kann, dann nur, weil ich alle möglichen Ablenkungen eliminiert habe, und selbst dann ist Löcher in die Luft starren unfassbar verlockend. Wie paralysiert, während ich mich die ganze Zeit innerlich selbst Anschreie, doch einfach etwas zu tun und es hinter mich zu bringen. —Wie gesagt, Mitte 20, das geht schon seit ein paar Jährchen so.
Mein bester Freund, der schon lange in medikamentöser ADHS Behandlung ist und mit dem ich eigentlich mehr Zeit verbringe, als dass ich es nicht tue, sagt mir seit Ewigkeiten, dass er in mir sehr stark ADHS sieht. Dass das, worüber ich ihm gegenüber Klage, er ohne seine Medikamente ist. Ich selbst habe (dank meiner Mutter) ein ausgeprägtes „Mit dir ist nichts falsch, Kind, du bist nur eine faule Sau und musst dich halt auf den Po setzen und arbeiten! Mach halt einfach mal!“ Syndrom…
Deswegen sage ich meinem Kumpel schon seit Jahren „Ja, du hast wahrscheinlich recht, ich sollte mir Hilfe suchen, aber…“ und nix passiert. Ich denke mir immer „Irgendwann, wenn ich Luft habe“. Dieses Jahr, als sich bei mir eindeutig ein Burnout entwickelt hatte, war’s ihm dann genug, und er hat mich mit einer kleinen Intervention überrascht, bei welcher er zusammen mit mir dann einen Arzt gesucht hat.
2. Das Problem:
Ich hatte (trotz Dringlichkeitsschreiben und Großstadt) immense Probleme, einen Arzt zu finden der mich nimmt. ADHS bei Erwachsenen, undiagnostiziert, niemand wollte/konnte mich haben.
Überraschend durfte ich dann zu einem lokalen Neurologen. Er ist im mittleren Alter, die Praxis ist jung, und von ADHS ist auf seiner Webseite nichts zu sehen. Auch in seiner sehr ausführlichen Zertifikats/Qualifikations Liste ist von ADHS keine Rede. Im Wartezimmer habe ich eine einzelne Broschüre entdeckt.
Seine Themenschwerpunkte sind Schlaganfälle, MS, Epilepsie, und einige Themen welche ich als neuromuskulär beschreiben würde. Bevor er die Praxis übernommen hatte, war er Oberarzt mit Schwerpunkt Schlaganfälle.
Meine Diagnose erfolgte zuerst durch ein Gespräch mit ihm. Hier hatte ich ihm auch erklärt, dass ich vor einigen Jahren in einer Psychotherapie war (das ist als trans-geschlechtliche Person in Deutschland vom Gesetz so verlangt), bei welcher ich viele Alltagstricks gelernt hatte (wie die Wecker), die aber nur ein Pflaster sind und einfach nicht mehr ausreichen. Dann folgten 3 Fragebögen welche die Arzthelferin mit mir durchgegangen ist. (Den ersten habe ich alleine ausgefüllt, dann wurde sie scheinbar ungeduldig, und hat die anderen beiden mir vorgelesen. Vermutlich für schnellere Antworten. Das fiel mir sehr schwer.) Der Arzt sagte dann, dass meine Antworten eindeutig sind, meine Punktzahl ist hoch, ADHS hält er für sehr wahrscheinlich. Er würde mir Medikamente verschreiben, und empfiehlt eine begleitende Psychotherapie (welche ich noch nicht auf die Beine stellen konnte, die gleichen Platzprobleme wie zu Beginn).
Ich war für die erste Woche auf (0-1-0) 10mg Medikinet Adult Retard. Ab der zweiten Woche waren es dann (1-1-0) 10mg. In der zweiten Woche hatte ich für etwa 4 Tage mittelschwere Probleme mit Bluthochdruck/hohem Puls, welche langsam wieder besser wurden. Inhaltlich habe ich gemerkt, dass selbst die 10mg einen merklichen positiven Effekt hatten! Ich war auf einmal dazu in der Lage, Dinge zu tun! Insbesondere der Haushalt und spontane Aktionen wurden viel einfacher. Ich konnte Stück für Stück sogar einige meiner Wecker löschen! Große/schwierige Aufgaben, wie Konzentration beim Arbeiten, waren immer noch eine Katastrophe.
Nach einem Monat hatte ich dann meinen ersten Folgetermin. Bluthochdruck hat ihn nicht beunruhigt, da der sich größtenteils wieder beruhigt hatte, und er hat mir gesagt, wenn es wieder kommt, soll ich zu meinem Hausarzt. Er wollte mich danach mit einem gleichbleibenden 10mg Rezept und „keine regulären Folgetermine. Melde dich, wenn was ist.“ weg schicken. Ich hatte vorsichtig erklärt, dass es zwar bereits merklich hilft, aber ich immer noch nicht funktioniere und gerne trotz Nebeneffekte eine höhere Dosis versuchen würde. Leicht widerwillig hat er mir dann ein Rezept für (1-0-0) 10mg und (0-1-0) 20mg gegeben. Seine Begründung war, dass ich mit meinen 53kg sehr wenig Körpergewicht habe. (Ich bin nicht untergewichtig, aber ich bin mit 1,65 klein und schmal gebaut. Das ist angeboren, ich bin ein seeehr frühes Frühchen, wir sind oft sehr klein/schmal). Das ist jetzt anderthalb Wochen her.
Die 20mg Mittags helfen mir. Ich merke eindeutig, dass sie schon etwas besser funktionieren, als die 10mg! Ich kann langsam an Uni Projekten arbeiten (mit Mühe, aber immerhin!). Ohne sie wäre ich auch nicht dazu in der Lage, diesen Post hier zu schreiben. Ich bin aber ehrlich gesagt immernoch nicht 100% zufrieden, es könnte besser funktionieren, wobei das wahrscheinlich einfach noch Zeit braucht. Ich darf ja auch nicht zu viel verlangen.
Mein Problem: Starker isolierter Blutdruck und Puls Anstieg. In den letzten 10 Tagen waren meine besten medikamentierten Werte (120/70 zu 90) (=systolisch/diastolisch und Puls), was OK ist, aber höher als früher. Fast täglich sind die Werte jedoch auch (140/80 zu 125) und aufwärts, insbesondere der Puls ist unangenehm. Diastolisch „stürzt“ auch gerne auf ~60 ab, bei gleichzeitigem 130+ systolisch und 110+ Puls. Mein höchster Wert war ein vereinzelter (174/80 zu 128), hierbei dachte ich kurz an Krankenhaus da ich auch Atemnot hatte. Gelegentlich meldet mein Messgerät mir Herzrhythmus Fehler. Eigentlich bin ich ein fitter Mensch.
Sonstige Nebeneffekte halten sich bei mir absolut in Grenzen! Ich habe keine Schlafprobleme (ich kann sogar 2 Stunden nach der 20mg Tablette Mittagsschlaf halten! Hitze Siesta.), Appetitprobleme habe ich nur, wenn der Puls bei mir Übelkeit verursacht, und auch Kopfschmerzen scheinen Blutdruck-bedingt zu sein. Anfänglich hatte ich sogar regelrecht Heißhunger. Ansonsten habe ich, außer leichten Verdauungsproblemen, keine Beschwerden. Stark isolierter Bluthochdruck und Puls, ist es halt.
Endeffekt: Ich vertrage scheinbar Medikinet Adult Retard nicht. Mental bereits eine merkliche Verbesserung, körperlich starke Verschlechterung. Meine Hausärztin will mich hierfür eigentlich nicht behandeln, sie sagt (wo ich zustimme), dass der Neurologe das machen soll, es sind seine Medikamente. Sie hat mir trotzdem, damit ich bis zu einer besseren Lösung über die Runden komme, die kleinste Dosis Propranolol (Beta Blocker) verschrieben. Ich habe immer noch etwa (130/70 zu 95), was sich körperlich schlecht anfühlt, aber besser. Ich mache bei nächster Gelegenheit einen neuen Termin mit dem Neurologen.
Ich habe mir in meiner Verzweiflung eine Studie namens „EMMA“ (zu finden beim BfArM, unverlinkbar) durchgelesen, und folgende Dinge herausgefunden:
- Ich bin mit meinen 30mg/Tag bei 0.56mg/kg. [Das ist ziemlich exakt die Durchschnitts-dosis der Studie].
- [Bei Männern wurde „Wirksamkeit“ ab 0.7mg/kg aufwärts festgestellt.] Das bedeutet, ich müsste nach Gewicht „sicher“ mindestens 37mg/Tag vertragen können, wenn nicht sogar müssen.
Ergebnis: Ich möchte nicht zwingend auf eine höhere Dosis pochen, insbesondere nicht jetzt sofort, aber seine Bedenken, dass alles mehr als 20mg/Tag (0.38mg/kg) ihm „zu viel“ für mein Gewicht sind, kommenmir komisch vor. Liege ich hier falsch?
Weiterhin habe ich eine Metastudie von Cortese gefunden (Auszug zu finden bei der Deutschen Apotheker Zeitung), welche besagt, dass wegen möglichem stark erhöhtem systolischem Blutdruck bei Jugendlichen Methylphenidat bevorzugt wird, [und bei Erwachsenen genau umgekehrt:] Hier sei Methylphenidat der Übeltäter, und Amphetamine verursacht seltener Blutdruckprobleme. Elvanse sei bei Erwachsenen die erste Wahl, weil es besser funktionieren würde und weniger Blutdruck Nebeneffekte haben soll.
3. Weswegen ich mich an euch wende:
Ich weiß nicht, was ich tun soll. Der Neurologe ist wirklich sehr nett, aber ich habe (ggf. unbegründet) das Gefühl, er macht das ADHS Thema nur so „nebenbei“ und kennt sich nicht vollends aus. Ich weiß nicht, ob seine Expertise hier ausreicht, insbesondere, da ich so starke Nebenwirkungen habe. Bluthochdruck und Puls hört sich vielleicht nicht schlimm an, fühlt sich aber sehr schlimm an.
Ich möchte ungern weiterhin auf Beta Blockern bleiben. Lieber würde ich das Problem an der Wurzel packen.
Meine (unwissende, da Laie) Meinung ist, dass ein Umstieg auf Elvanse oder vielleicht Attentin ein Versuch wert wäre, um zu schauen, ob ich damit immernoch so Probleme habe. Wenn ja, kann man ja immer noch versuchen, Medikinet mit Beta Blockern in den Griff zu bekommen.
Ich habe jedoch Angst, das so dem Neurologen zu erklären. Selbstverständlich würde ich ihm nicht ins Gesicht sagen, dass ich befürchte, er kennt sich mit ADHS bei Erwachsenen nicht gut genug aus. Aber ich fürchte, er würde sich selbst bei dem Vorschlag eines Medikamentenwechsels gekränkt fühlen und/oder verweigern.
Weiterhin habe ich Angst, dass ich als „Drogen Suchend“ abgestempelt werde oder gänzlich von Medikamenten abgesetzt werde, wenn ich mit dem Vorschlag von einem Wechsel auf Amphetamine ankomme. Ärzte mögen es ja selten, wenn man mit „Eigenwissen“ ankommt, und Amphetamine ist ja angeblich noch einmal „heftiger“ als Methylphenidat. Außerdem hatte er sich ja schon bei der Erhöhung nach einem Monat auf 10-20-0 gesträubt, und wollte mich gefühlt lieber endgültig auf 10-10-0 halten. Nach letzter Aussage scheint er auch die Behandlung mit Beta Blockern zu bevorzugen, da ich mit dem Nebeneffekt Bluthochdruck ja zu meinem Hausarzt gehen sollte und nicht zu ihm. Das fand ich sehr komisch.
Vielleicht wäre ein Ärztewechsel eine gute Idee, aber auch hier habe ich die Befürchtung, dass „Diagnose nehmen und zu eine anderen Arzt rennen, wenn der erste Arzt mir die Medikamente die ich will nicht gibt“ mich im schlimmsten Fall wie einen Drogendealer aussehen lässt. Auch wird es schwer, einen anderen Arzt zu finden, der qualifiziert ist und Platz für mich hat.
Was ist eure Meinung? Was soll ich machen? Versuchen es doch anzusprechen/vorzuschlagen, vielleicht mit ausgedruckter Studie bezüglich Amphetamine > Methylphenidat (die Emma Studie mit dem mg/kg würde ich erstmal nicht erwähnen)? …Nichts tun, und noch ein paar Wochen/Monate abwarten, ob mein Körper sich beruhigt? Habe ich vielleicht gänzlich Unrecht und mein Arzt macht das so alles richtig? Reagiere ich über? Ich bin ratlos.
Danke für’s Lesen! Tut mir Leid, dass es ein Roman geworden ist. Ich habe hier auch den ganzen Nachmittag dran gesessen, um meine Gedanken zu sortieren. Es ist für mich ein sehr schwieriges und eher beunruhigendes Thema, da ich Angst habe, das bisschen Hilfe was ich endlich habe sofort wieder zu verlieren.
TL;DR: Starke Nebeneffekte bei Medikinet Retard Adult. Möchte vielleicht Elvanse versuchen. Habe Angst, das meinem (ggf. nicht ADHS-spezialisierten) Arzt vorzuschlagen, da ich seine Reaktion nicht einschätzen kann und Schlimmstes befürchte.