Hallo zusammen,
ich stecke gerade in einem komplizierten Verfahren mit der Krankenkasse (DAK) und hoffe auf eure Erfahrungen. Die Krankenkasse versucht in einer Art Henne und Ei Problem die Sache zu verschleppen. Sie argumentiert Privatrezepte können aus formellen Gründen nicht übernommen werden und der Arzt solle doch Kassenrezepte ausstellen. Das macht der Arzt aber ohne Kostenzusage der Krankenkasse nicht weil die Kasse sonst mit Regressforderungen kommt und der Arzt dann zahlen muss.
Meine Situation:
Ich habe seit Jahren ADHS und alle Standard-Medikamente durchprobiert:
- Methylphenidat musste wegen Nebenwirkungen abgesetzt werden
- Lisdexamfetamin/Elvanse wurde zweimal versucht, beide Male Nebenwirkungen
- Strattera wurde nicht vertragen
- Verschiedene Antidepressiva brachten keine ausreichende Wirkung
Jetzt habe ich endlich etwas gefunden, das gut wirkt: Desamfetaminsulfat als Rezeptur (2,5% Saft). Die Ärztin stellt mir aber nur Privatrezepte aus, weil sie Angst vor Regressforderungen der Krankenkasse hat. Die Kosten von 120€ alle 2,5 - 3 Monate muss ich selbst tragen, was besonders schwierig ist, da ich aktuell arbeitsuchend bin.
Der bisherige Ablauf:
Im Januar 2024 habe ich bei der DAK einen Antrag auf Kostenübernahme gestellt - sowohl für die bisherigen Privatrezepte als auch für die zukünftige Versorgung. Dazu habe ich ein ausführliches Attest meiner Ärztin eingereicht, das die erfolglose Erprobung aller Alternativen und die gute Wirkung des jetzigen Medikaments dokumentiert.
Die Position der DAK:
Die DAK hat abgelehnt und argumentiert hauptsächlich formal:
- Privatrezepte könnten grundsätzlich nicht erstattet werden
- Für eine Kostenübernahme müsse ein Kassenrezept vorliegen
- Mit einem Privatrezept würde der Arzt dokumentieren, dass die Voraussetzungen für eine Kassenübernahme nicht erfüllt seien
- Eine Erstattung käme nur bei „unaufschiebbaren Leistungen“ in Frage (§13 Abs. 3 SGB V)
Meine Recherche zeigt aber:
Es gibt wichtige Grundsatzurteile für solche Fälle:
- „Nikolaus-Urteil“ des BSG (06.12.2006 - B 6 KA 13/06 R):
Kostenübernahme muss erfolgen wenn:
- Schwerwiegende Erkrankung vorliegt
- Keine Alternative verfügbar ist
- Begründete Erfolgsaussicht besteht
- BSG-Urteil zu individuellen Heilversuchen (26.09.2006 - B 1 KR 1/06 R):
- Regelt Kostenübernahme bei erfolgversprechenden individuellen Therapien
- Relevant wenn Standardtherapien versagt haben
- BSG-Urteil zu Rezepturarzneimitteln (04.04.2006 - B 1 KR 7/05 R):
- Behandelt speziell die Versorgung mit individuell hergestellten Medikamenten
Diese Urteile scheinen auf meinen Fall zu passen, da:
- ADHS erhebliche Beeinträchtigungen verursacht
- Alle Standardtherapien nachweislich erfolglos waren
- Die aktuelle Behandlung dokumentiert wirksam ist
- Es sich um einen erfolgreichen individuellen Heilversuch handelt
Was ich besonders interessant finde:
- Derselbe Wirkstoff ist als Tablette (Attentin) bei Kindern und Jugenlichen zugelassen und wird da von den Kassen bezahlt
- Sie ist sogar günstiger als wenn man Attentintabletten (hat Zulassung nur bei Kindern und Jugendlichen) kaufen würde
- Soweit ich weiss wurde früher die Rezeptur zumindest der d/l- Amphetaminsulfatsaft auch bei Erwachsenen von den Kassen übernommen
- Die Rezeptur ermöglicht eine genauere Dosierung und ich habe nicht die Nachteile von den lang wirksamen Präparaten (kann viel besser dosiert und zeitlich gezielter eingesetzt werden, was unter anderem bei mir weniger Auswirkungen auf Schlaf hat)
Aktueller Stand:
Die DAK hat meinen Widerspruch abgelehnt. Jetzt steht wohl eine Klage beim Sozialgericht an. Meine Rechtsanwältin ist Fachanwältin für Sozial- und Medizinrecht.
Meine Fragen an euch:
- Hat jemand Erfahrung mit der Genehmigung von Off-Label-Use bei ADHS-Medikamenten?
- Kennt jemand ähnliche Fälle vll auch mit Dexamphetaminsaft?
- Wurde bei jemandem die Kostenübernahme trotz anfänglichem Privatrezept genehmigt?
- Wie sind eure Erfahrungen mit den Krankenkassen in solchen Fällen?
- Hat jemand Erfahrung mit Sozialgerichtsverfahren in ähnlichen Fällen?
- Wenn ja wie lange hat das Verfahren gedauert und hattet ihr das über Eilverfahren versucht (weil so ein normales Verfahren scheint ja doch sehr lange zu dauern)
Achja bezüglich Eilverfahren:
Meine Anwältin meint, ein Eilantrag käme nur bei „erheblicher Gesundheitsgefährdung“ in Betracht. Nach meiner Recherche könnte aber auch die Kombination aus:
- fehlender Berufstätigkeit
- nachgewiesener Wirksamkeit für meine Arbeitsfähigkeit
- dokumentierter Erfolglosigkeit aller Alternativen
- und der langen Verfahrensdauer im normalen Prozess (oft 1-2 Jahre)
eventuell eine besondere Dringlichkeit begründen. Das Bundessozialgericht hat die Bedeutung der ADHS-Medikation für die Arbeitsfähigkeit durchaus anerkannt.
Über eure Erfahrungen und Tipps würde ich mich sehr freuen!