Ich habe ja unter Anderem deshalb eine Diagnose und schließlich Therapie gesucht, weil ich am Ende nicht mal mehr meine kreative Arbeit, die mir bis dahin einigermaßen leicht gefallen war, mehr auführen konnte.
Klar gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Kreativität und ADxS, aber ich glaube schon, dass es einen wesentlichen Unterschied gibt.
Kreatives Denken…
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[*] stellt Verbindungen her zwischen Gedanken und Dingen, die nicht selbstverständlich sind,
[*] erkennt den Wert einer so entstandenen Idee (Neuigkeitswert, Orginalitätswert, Witzigkeit) und
[*] übersetzt sie in eine anwendbare Form.
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Das Umsetzen selber ist auch Teil des kreativen Prozesses, aber es kommt oft genug vor, dass diesen Teil jemand anders übernimmt, etwa jemand, der besser Gitarre spielt als man selber, oder ein Filmteam, denn man kann wirklich nicht alles selber machen.
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Mein (zugegeben anekdotischer, denn ich habe ja nur ein Gehirn) Eindruck ist, dass der erste Schritt uns Neurodiversen deutlich leichter fällt als anderen. Mir jedenfalls geraten ständig Gedankenfetzen in einanders Schwerkraft. Für mich ist das der Kern dessen, was eine Idee ausmacht: Nicht unbedingt ein neuer, ungewöhnlicher oder sonstwie interessanter Gedanke, sondern oft eben auch nur eine neue etc. Kombination von Gedanken. Genaugenommen ist das aber keine kreative Leistung, eher eine Normaleinstellung. Wir können gar nicht anders denken. Oder nur mit Mühe.
Aber andere können auch so denken. Ich denke, die Grundvoraussetzung ist, sich seine Neugier zu bewahren. Letzten Monat ist einer meiner Lieblingsmusiker gestorben, Neil Peart. Peart war Schlagzeuger bei Rush, einer Prog-Band, die ihren Stil über Jahrzehnte weiterentwickelt und dadurch frisch gehalten hat, die immer wieder neu definiert hat, was eine Rockband schaffen kann, technisch wie geistig. Manglende Kreativität kann man den Jungs jedenfalls nicht vorwerfen. Wenn man Peart in Interviews sieht, erscheint er als extrem fokussierter, klar denkender Mensch. Weiter weg von einem ADxS-Gehirn geht das kaum. Aber er war eben auch immer neugierig, immer auf der Suche nach noch besseren Ausdrucksmöglichkeiten.
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Der zweite Schritt fällt uns (naja, auf jeden Fall mir) schwerer. Um eine Idee zu beurteilen, müsssen wir zunächst mal einschätzen können, wie ungewöhnlich sie ist. Das ist schwierig, wenn Normal Denken uns schwer fällt. Ein Grund, weshalb ADxS-Menschen oft als kreativ gelten, mag sein, dass wir nicht diesen inneren Stino haben, der diese Ideen gleich wieder verwirft, wenn sie zu durchgeknallt sind. Im Gegenteil, wir sind von so was sehr schnell zu begeistern. Aber eine richtig gute Idee ist eben nicht nur neu und ungewöhnlich, sondern auch anknüpfbar ans Bekannte. Einfach nur schräg reicht nicht. Jedenfalls nicht, wenn’s auch jemandem gefallen soll.
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Der dritte Schritt aber ist, wo uns neurotypische Menschen so richtig was voraus haben. Selbst wenn wir die Idee nicht selber umsetzen, müssen wir sie doch in einer Weise formulieren, die sie umsetzbar macht. Dazu gehört, die richtige Ausdrucksform zu bestimmen. Nicht alles ist ein potenzieller Ausdruckstanz, manches lässt sich eben besser als Scherenschnitt umsetzen. Diese Entscheidung zu treffen, erfordert ein gewisses Maß an Realismus und Erfahrung.
Andererseits: Ein richtig guter Ausdruckstänzer, der die Möglichkeiten seiner Kunst bis zum Exzess beherrscht, könnte daraus eben doch was machen. Und so ein Meister-Ausdruckstänzer hat seine Fähigkeiten wahrscheinlich über einen jahrelangen, konzentrierten Prozess erlangt. Was uns ja nicht immer ganz so liegt.
Gerade wenn andere beteiligt sind, muss die Formulierung, der Plan, auch im Plan-Stadium überzeugend sein. Ich habe schon oft in Brainstorming-Situationen Ideen produziert, von denen ich niemanden überzeugen konnte. („Nee, das geht doch niemals zusammen!“) Dann habe ich meine Umsetzung angefangen (etwa eine Skizze angelegt) und präsentiert, und man konnte richtig das Licht bei allen aufgehen sehen. Das Problem war nämlich nicht die Idee, sondern dass sich niemand im Raum, außer mir, sie vorstellen konnte. Die Kehrseite ist, dass ich oft noch an Ideen glaube und ihre Umsetzung voranzutreiben versuche, lange nachdem andere sie bereits verworfen haben und an etwas anderem arbeiten.
Sogar mir selbst gegenüber funktioniert das: Einige meiner schrägeren Ideen fingen mit einem Gedanken an, den ich sogleich als unmöglich abtat. Dann ertappte ich mich dabei, mir Strategien zu überlegen, wie es doch funktionieren könnte, wenn ich es, rein theoretisch, umsetzen wollte, was ich natürlich nicht vorhatte. Und dann setzte ich es um.