Kreativität ohne ADHS?

Hallo,

kann es eigentlich Kreativität ohne eine zumindest kleine Portion ADHS geben?

Das würde mich doch jetzt mal sehr interessieren…

Was ist Kreativität… neue Ideen, andere Verknüpfungen, andere Assoziationen… ist Voraussetzung nicht dann eigentlich auch sowas, dass die Synapsen Inhalte irgendwie nicht so sauber trennen…?

Irgendwie fehlt mir das fachliche chemische Verständnis und das geeignete Vokabular… aber vielleicht gibt es dazu ja auch schon was auf ADxS.org?

Und gibt es diese kleine Portion ADHS auch ohne starke Ausprägung der Symptome, die das Ganze je nach Stärke der Ausprägung zu einer „Krankheit“ machen?

Schwierige Frage. Ähnlich schwierig zu beantworten wie die Frage, wo Genie aufhört und Wahnsinn anfängt.

Wenn ich das recht verstehe, meinst Du, dass ADHS kreativ macht oder stets mit Kreativität einhergeht. So wie Du es schreibst, siehst Du ADHS eher als Persönlichkeitseigenschaft denn als Störungsbild.
Ich schreib mal lose, was mir dazu einfällt.
Unbehandeltes ADHS assoziiere ich nicht mit Kreativität sondern mit mangelnder Selbststeuerungs- und Selbstregulationsfähigkeit. Damit blockiert es Kreativität eher, als dass es sie bedingt. Umso mehr, wenn man davon ausgeht, dass Stress stets den Selbstzugang blockiert, tiefes Denken verunmöglicht. Damit behindert ADHS als Störung der Stressregulation Kreativität.
Kreativität kann in der Regel dann sinnvoll ausgelebt werden, wenn sie auf soliden „handwerklichen“ Füßen steht. Die ganzen hübschen Assoziationen sind ansonsten für die Tonne.
Auch kreative Handlungen wollen geplant und durchgeführt werden. Wenn ich mein Instrument nicht beherrsche kann ich damit nicht improvisieren.
Ganz im Gegenteil würde ich behaupten, dass jeder Mensch schöpferisch tätig sein kann, wenn er „seine“ Domäne findet und die Möglichkeiten hat, die Begabung auszuleben. Das ist also eher eine Frage der artgerechten Haltung als eine Frage von ADHS.
Wenn ich ein Bild wählen darf: Für kreatives Denken und Handeln braucht es eine Flamme, die etwas entzünden kann. Unbehandeltes ADHS ist eher wie eine Wunderkerze: viel Gefunkel aber wenig Effekt.

Just my twopence,
LG, Anna

Danke, sehr gut beobachtet und beschrieben. Das stimmt natürlich auch sehr!

Es ist halt so, dass ich hier bei uns der Familie immer wieder viele kreative Ideen sehe, auch total absurde Sachen… und das schon auch im Normalo-Umfeld überhaupt nicht sehe.

Im Gegenteil, man wird immer wieder belächelt für seine Ideen und Assoziationen, die man manchmal äußert… ich arbeite in einem Umfeld, wo echt keine eigenen Ideen erwünscht sind, sondern Prozesstreue und stringentes Abarbeiten des „Postkorbes“…

Wenn ich jetzt im Umfeld andere kreative oder einfach nur sehr interessante Menschen sehe, die mir von Neffen oder Brüdern mit ADHS erzählen, dann kriege ich einfach grade diesen Gedanken, den ich oben uberspitzt formuliert habe… ob nicht diese Personen auch ein schwaches ADHS haben…

Hallo,

Kreativität wird bei Hochbegabung / Hochsensibilität und AD(H)S häufig als ein typischer Charaktertrait beschrieben. Typisch meint damit „häufiger als sonst“.
Ich glaube inzwischen, dass die AD(H)S- und HB-Charaktertraits aus der Hochsensiblität herrühren, die bei HB höufig und bei AD(H)S fast immer gegeben ist.

Nun und Hochsensibilität gibt es ja auch ohne AD(H)S (HS: 15 bis 20 %, AD(H)S 5 - 10 %).
Wenn, wie ich glaube, fast alle AD(H)Sler HS sind, bleiben noch 5 bis 15 % HSler ohne AD(H)S.

Bei der Gelegenheit: ADxS.org hat einen neuen Onlinefragebogen zum Thema Hochsensbilität.
Wen das interessiert: <LINK_TEXT text=„https://www.adxs.org/adhs-onlinetest-um … taetstest/“>https://www.adxs.org/adhs-onlinetest-umfragen/hochsensibilitaetstest/</LINK_TEXT>
Wie immer ein klein wenig ausführlicher und um die Ecke gefragter als die Onlinetests zur Hochsensbilität da draussen :wink:

VG

UlBre

Hallihallo,
klar, bei Schizotypischer Störung zum Beispiel gibt es absurde Ausmaße an Kreativität, ohne dass AD(H)S vorliegt.
Ich habe dazu letztens eine Studie lesen dürfen: Kreativität bei AD(H)S wird mit geringerer inhibitorischer Kontrolle erklärt, was dazu führt, dass bei einer bestimmten Aufgabenstellung, die sogenanntes divergentes (kreatives) Denken erfordert, viel weitere und ungewöhnlichere Assoziationen gemacht werden. Man spricht auch von breiterer semantischer Aktivation. Außerdem wird Kreativität begünstigt, wenn die Leistung des Arbeitsgedächtnisses leicht beeinträchtigt ist - bei einem Experiment haben sie z.B. Leute leicht alkoholisiert, daraufhin haben sie bei einem Kreativitätstest etwas besser abgeschnitten. Die exekutive Kontrolle des intakten Arbeitsgedächtnisses bei Normalos führt dazu, dass sie eher geradlinig und effizient denken (sogenanntes konvergentes Denken).

Ich nehme an, da es diese Anomalien auch bei anderen Störungen und in Form einer Normvariante gibt, kann man Kreativität auch bei AD(H)S haben. Ich fände auch interessant, kann man AD(H)S haben, ohne kreativ zu sein?

Aber wie Anna schon geschrieben hat, es kommt darauf an, wie Kreativität definiert wird. Wenn es um das Produzieren neuer Ideen und Assoziationen geht, sind AD(H)Sler besser, das ist für schreiben, malen, tanzen und so (persönliche Erfahrung) ganz cool. Aber etwas bauen oder konstruieren? Da scheitern meine Exekutivfunktionen kläglich, auch wenn ich an sich hunderte Ideen habe, was ich alles erfinden könnte…

Genau: Kreativität ist was anders als die praktische Umsetzung…

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Ich habe mich nie für einen kreativen Menschen gehalten.
Kann nicht male, schreiben oder Statuen aus dem Stein schlagen.

Mittlerweile weiß ich aber, dass ich anders denke als viele Menschen um mich herum.
Auch wenn es um technische und konstruktive Dinge geht.

Ein Prof wollte von uns Vorschläge die sich „outside of the box“ befinden.
Zu meinem sagte er „das ist ja einer ohne Box“.
Finde mich damit ganz gut beschrieben.

Mein Problem ist aber, dass es mir verdammt schwer fällt nicht kreativ zu sein
und mich einfach mal an das halte, was vorgegeben ist.

K.

Ja, wenn man etwas das ganze Leben so gewohnt ist, merkt man das nicht…

Ja, es kann auch Kreativität ohne zumindest eine kleine Portion ADHS geben… und zwar durch eine Art Training der Kreativität, durch biographische Faktoren, durch Sozialisation… jemand, der in einer Hippie-Gesellschaft aufwächst und dort sozialisiert wird, der wird quasi zu kreativer und offener Denkweise trainiert… jemand, der dagegen in einer Gesellschaft sozialisiert wird, die jegliche Kreativität und Auslebung von Kreativität verbietet, ohne zumindest „ein bisschen“ ADHS ist Kreativität dort Fehlanzeige… Cordula Neuhaus wurde mal in der Mainpost mit der Aussage zitiert, dass Menschen mit ADHS die einzigen genuin kreativen Menschen überhaupt seien… zu Kreativität durch ADHS fällt mit mind-wandering ein, siehe dazu J.K. Rowling und die Geschichte zur Entstehung von Harry Potter <LINK_TEXT text=„https://www.tagesspiegel.de/wissen/psyc … 20226.html“>Psychologie: Wir Tagträumer</LINK_TEXT>

in dem Link <LINK_TEXT text=„https://www.mainpost.de/regional/schwei … 63,7087276“>https://www.mainpost.de/regional/schweinfurt/Seid-lieb-zum-Mandelkern;art763,7087276</LINK_TEXT> findet man das Zitat von Cordula Neuhaus, wonach Menschen mit ADHS die einzigen genuin kreativen Menschen überhaupt seien… wie gesagt, es gibt auch Kreativität ohne ADHS, aber diese Form von Kreativität oder „Kreativität“ (mit „“ oder ohne „“, das ist Definitionssache), die ist eben nicht genuin, also nicht von Natur aus…

Auch wen ich diese These so nicht haltbar finde, (keine Definition, weder von Kreativität noch von „von Natur aus“)
fühle ich mich damit ganz gut beschrieben. Es ist eben Denken ohne Box.


Sorry, aber das halte ich für eine Behauptung.
Auch die o.g. Aussage von Frau Neuhaus - in einer Zeitung - sehe ich sehr kritisch.
Das Spektrum zwischen „Stino“ und „pathologischem Aufmerksamkeitsdefizit“ ist fließend.
Wir therapieren zum Teil Zustände, die man sicherlich in anderen Gesellschaften bzw. zu anderen Zeiten als nicht therapiewürdig angesehen hätte, in denen Menschen mit unseren Ausprägungen glücklich und zufrieden haben leben können - oder, wahlweise, auch ganz andere Probleme hatten, die aber in unserer heutigen Gesellschaft bestimmten Anforderungen nicht mehr genügen und uns damit am Ausleben unserer Fähigkeiten und Bedürfnisse massiv hindern.
Wo tatsächlich diese Ausprägung beginnt, die wir als behandlungsbedürftige Pathologie betrachten, ist sehr subjektiv und vom eigenen Leidensdruck und den eigenen Persönlichkeitseigenschaften abhängig. ADHS ist keine Persönlichkeitseigenschaft. Kreatives offenes Denken aber durchaus. Menschen mit ADHS können u.U. gezwungen sein, ungewöhnlich zu denken, weil sie nicht auf routinierte Denkprozesse zurückgreifen können.
Ich wehre mich so vehement gegen diese Aussage, dass es ohne ein Fitzelchen ADHS keine Kreativität gäbe - zum einen, weil da Begriffe durcheinandergeraten, aber auch, weil es mir stark nach narzisstischer Selbstüberhöhung klingt und darauf zielt zwischen „Denen“ und „Uns“ zu unterscheiden, ADHS praktisch zu ethnifizieren. Und das ist eine Denkweise, die ich nicht teile und die Menschen mit ADHS m.E. einen Bärendienst erweist.
Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich in einer Familie aufgewachsen bin, in denen ADHS mit narzisstischer Auslenkung <LINK_TEXT text=„https://www.adhspedia.de/wiki/Selbstwah … slenkungen“>Selbstwahrnehmung von ADHS-Betroffenen – ADHSpedia</LINK_TEXT> einherging, was letzlich in der Selbstüberschätzung eigener Besonderheiten („wir sind ja sooo sensibel“ / „wir sind ja sooo kreativ“) einherging - verbunden mit der daraus resultierenden Verhaltensstrarre und Rücksichtslosigkeit. Mag sein.

Hm, nee, sorry, find ich nicht:
Krankheit / Störung ist per Definition nicht nur ein Verhalten XY, sondern auch, dass derjenige bzw. seine Umwelt darunter leiden.
Leidet keiner, können sie doch mit was auch immer sie wollen glücklich und zufrieden leben ?

Ich kenne niemanden, der auf AD(H)S behandelt wird, ohne dass er drunter leidet.
Ich kenne einige, die meinen, dass sie selbst gar nicht leiden, dafür leidet dann deren Umwelt ganz gewaltig.


Da haben wir uns missverstanden. Ich meine, es gibt für jeden eine Punkt an dem der Leidensdruck so hoch ist, dass Menschen mit dieser Disposition Hilfe suchen. Was widerum auch mit der Toleranz der Umgebung oder den Umgebungsbedingungen liegt.
In unserer hochtechnisierten, entfremdeten, verkopften Gesellschaft würde ich annehmen, dass dieser Punkt schneller erreicht ist als zB. auf einer Ranch im Outback.
Abgesehen davon, dass ADHS auch unterschiedliche Erscheinungsbilder oder unterschiedliche Problemschwerpunkte hat, abhängig von Persönlichkeit, Geschlecht etc.
Ein Mädchen mit einem tobigen ADHS hätte man zu meiner Zeit deutlich schneller pathologisiert als einen Jungen, bei dem man das Verhalten noch hingenommen bzw. es auf seinen Charakter geschoben hätte.
Das Buch, das Julai empfohlen hatte (van Elst: Autismus und ADHS) beschäftigt sich mit diesem Thema und ist höchst aufschlussreich.

die Frage steht übrigens im Raum, ob Kreativität neurobiologisch nichts anderes ist als mind-wandering?

Für Freunde der Wissenschaft hier zwei paper zum Thema:

<LINK_TEXT text=„https://www.sciencedirect.com/science/a … 0012000037“>Uncorking the muse: Alcohol intoxication facilitates creative problem solving - ScienceDirect</LINK_TEXT>
Kurzfassung: Das Arbeitsgedächtnis ist unter Einfluss von Alkohol eingeschränkt. In einer bestimmten Kreativitätsaufgabe, dem Remote Association Test (man soll darin ungewöhnliche Assoziationen bilden) führt das aber zu einer besseren Leistung. Möglicher Grund: die exekutive Aufmerksamkeitsregulation behindert ansonsten das Bilden lockerer Assoziationen, man denkt eher „straightforward“ - was für die allermeisten Aufgaben im Alltag auch viel nützlicher ist.

<LINK_TEXT text=„https://www.tandfonline.com/doi/abs/10. … 16.1195655“>https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/10400419.2016.1195655</LINK_TEXT>
Kurzfassung: Studierende mit AD(H)S (Mischtyp) haben ungewöhnlichere, breitere Assoziationen, vermutlich wegen der geringeren „inhibitorischen Kontrolle“. Ihnen fallen in diesem Experiment mehr und ungewöhnlichere Ideen ein, welche Features es für ein Smartphone geben könnte. Die Ideen der AD(H)Sler sind auch genauso praktisch.
In diesem Paper steht aber auch, dass die Studienlage bzgl. AD(H)S und Kreativität bisher uneinheitlich ist. Das liegt z.B. daran, dass Kreativität unterschiedlich definiert wurde (eine Definition wäre auch für diesen Thread hier angebracht, oder?) und dass die Stichproben sich unterschieden haben.

Kreativität wird hier als „divergent thinking“ definiert. Dazu hab ich dieses Video gefunden: https://www.youtube.com/watch?v=cmBf1fBRXms

Ich habe ja unter Anderem deshalb eine Diagnose und schließlich Therapie gesucht, weil ich am Ende nicht mal mehr meine kreative Arbeit, die mir bis dahin einigermaßen leicht gefallen war, mehr auführen konnte.

Klar gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Kreativität und ADxS, aber ich glaube schon, dass es einen wesentlichen Unterschied gibt.

Kreatives Denken…
[list=1]

  • [*] stellt Verbindungen her zwischen Gedanken und Dingen, die nicht selbstverständlich sind,
  • [*] erkennt den Wert einer so entstandenen Idee (Neuigkeitswert, Orginalitätswert, Witzigkeit) und
  • [*] übersetzt sie in eine anwendbare Form.
  • [/list]

    Das Umsetzen selber ist auch Teil des kreativen Prozesses, aber es kommt oft genug vor, dass diesen Teil jemand anders übernimmt, etwa jemand, der besser Gitarre spielt als man selber, oder ein Filmteam, denn man kann wirklich nicht alles selber machen.

    Mein (zugegeben anekdotischer, denn ich habe ja nur ein Gehirn) Eindruck ist, dass der erste Schritt uns Neurodiversen deutlich leichter fällt als anderen. Mir jedenfalls geraten ständig Gedankenfetzen in einanders Schwerkraft. Für mich ist das der Kern dessen, was eine Idee ausmacht: Nicht unbedingt ein neuer, ungewöhnlicher oder sonstwie interessanter Gedanke, sondern oft eben auch nur eine neue etc. Kombination von Gedanken. Genaugenommen ist das aber keine kreative Leistung, eher eine Normaleinstellung. Wir können gar nicht anders denken. Oder nur mit Mühe.

    Aber andere können auch so denken. Ich denke, die Grundvoraussetzung ist, sich seine Neugier zu bewahren. Letzten Monat ist einer meiner Lieblingsmusiker gestorben, Neil Peart. Peart war Schlagzeuger bei Rush, einer Prog-Band, die ihren Stil über Jahrzehnte weiterentwickelt und dadurch frisch gehalten hat, die immer wieder neu definiert hat, was eine Rockband schaffen kann, technisch wie geistig. Manglende Kreativität kann man den Jungs jedenfalls nicht vorwerfen. Wenn man Peart in Interviews sieht, erscheint er als extrem fokussierter, klar denkender Mensch. Weiter weg von einem ADxS-Gehirn geht das kaum. Aber er war eben auch immer neugierig, immer auf der Suche nach noch besseren Ausdrucksmöglichkeiten.

    Der zweite Schritt fällt uns (naja, auf jeden Fall mir) schwerer. Um eine Idee zu beurteilen, müsssen wir zunächst mal einschätzen können, wie ungewöhnlich sie ist. Das ist schwierig, wenn Normal Denken uns schwer fällt. Ein Grund, weshalb ADxS-Menschen oft als kreativ gelten, mag sein, dass wir nicht diesen inneren Stino haben, der diese Ideen gleich wieder verwirft, wenn sie zu durchgeknallt sind. Im Gegenteil, wir sind von so was sehr schnell zu begeistern. Aber eine richtig gute Idee ist eben nicht nur neu und ungewöhnlich, sondern auch anknüpfbar ans Bekannte. Einfach nur schräg reicht nicht. Jedenfalls nicht, wenn’s auch jemandem gefallen soll.

    Der dritte Schritt aber ist, wo uns neurotypische Menschen so richtig was voraus haben. Selbst wenn wir die Idee nicht selber umsetzen, müssen wir sie doch in einer Weise formulieren, die sie umsetzbar macht. Dazu gehört, die richtige Ausdrucksform zu bestimmen. Nicht alles ist ein potenzieller Ausdruckstanz, manches lässt sich eben besser als Scherenschnitt umsetzen. Diese Entscheidung zu treffen, erfordert ein gewisses Maß an Realismus und Erfahrung.

    Andererseits: Ein richtig guter Ausdruckstänzer, der die Möglichkeiten seiner Kunst bis zum Exzess beherrscht, könnte daraus eben doch was machen. Und so ein Meister-Ausdruckstänzer hat seine Fähigkeiten wahrscheinlich über einen jahrelangen, konzentrierten Prozess erlangt. Was uns ja nicht immer ganz so liegt.

    Gerade wenn andere beteiligt sind, muss die Formulierung, der Plan, auch im Plan-Stadium überzeugend sein. Ich habe schon oft in Brainstorming-Situationen Ideen produziert, von denen ich niemanden überzeugen konnte. („Nee, das geht doch niemals zusammen!“) Dann habe ich meine Umsetzung angefangen (etwa eine Skizze angelegt) und präsentiert, und man konnte richtig das Licht bei allen aufgehen sehen. Das Problem war nämlich nicht die Idee, sondern dass sich niemand im Raum, außer mir, sie vorstellen konnte. Die Kehrseite ist, dass ich oft noch an Ideen glaube und ihre Umsetzung voranzutreiben versuche, lange nachdem andere sie bereits verworfen haben und an etwas anderem arbeiten.

    Sogar mir selbst gegenüber funktioniert das: Einige meiner schrägeren Ideen fingen mit einem Gedanken an, den ich sogleich als unmöglich abtat. Dann ertappte ich mich dabei, mir Strategien zu überlegen, wie es doch funktionieren könnte, wenn ich es, rein theoretisch, umsetzen wollte, was ich natürlich nicht vorhatte. Und dann setzte ich es um.

    Die Frage ist für mich, ob das, was Rush gemacht haben, wirklich kreativ im Sinne dieses Threads ist. Klar, sie haben jahrzehntelang vieles ausprobiert und weiterentwickelt und hatten dabei eine treue Fangemeinde, aber ist das Kreativität?

    Oder vielleicht doch eher das, was ein John Lennon oder ein Kurt Cobain - ich nenne es mal „aus sich selbst“ - hervorgebracht haben, die zufälligerweise immer wieder mit ADHS in Verbindung gebracht werden?

    Um mit einem Beispiel zu verdeutlichen, was ich meine, und auf die Gefahr hin, mir hier Feinde zu machen: Pink Floyd waren zugegebenermaßen eine extrem erfolgreiche Band, weil vorgeblich bahnbrechend, ihrer Zeit voraus usw.

    Meiner Meinung nach war ihre eigentlich kreative Phase aber vor dem großen Durchbruch, als ein gewisser Syd Barrett ihre Musik fast im Alleingang hervorgebracht hat - bis zu seinem Rauswurf aus der Band wegen massiven psychischen Problemen. Aus meiner Sicht spricht aus dieser Musik eine Magie, die die Band ohne ihn imho nie wieder erreichen konnte.

    Ob Syd Barrett an ADHS litt, weiß ich nicht. Ich vermute aber auch, dass eine gewisse Neurodivergenz wahre Kreativität erst ermöglicht. An dem geflügelten Wort vom Genie und Wahnsinn, die eng beieinanderliegen, ist schon was dran, denke ich.

    Allerdings würde ich das nicht auf ADHS begrenzen wollen, das wäre anmaßend.

    Syd Barrett wurde nicht aus der Band geworfen, sondern ist in einem LSD-Trip geblieben und vegetierte danach nur noch vor sich hin. Die Band hat sich musikalisch mit seinem Schicksal auseinandergesetzt und daraus gingen Welterfolge wie: Brain Damage, Shine On You Crazy Diamond, Wish You Were Here hervor.

    PS: Mit Shine on you Crazy Diamond ist Syd Barrett gemeint.

    Ja, ich weiß. Der Rest der Band trauerte noch lange, auf ihren Freund und Inspirator verzichten zu müssen. „Rauswurf“ trifft es nicht, du hast recht, es ging einfach nicht mehr zusammen.