Tragen die "positiven Seiten" von ADHS zur Entvalidierung von Betroffenen bei?

Wie wir wissen, braucht man für eine Störung ein Leid bzw. für die Diagnose einer Störung einen Patienten, der einen Leidensdruck durch seine Störung erlebt.

Nun zur Frage:

Wenn also für eine Störung maßgeblich ist, dass sie einen Leidensdruck mit sich bringt, wieso wird im offenen Diskurs aber teilweise auch immer noch von „Profis“ (Ärzten, Psychiatern, Psychologen, Sozialarbeitern, Lehrern etc.) ADHS immer wieder als Modediagnose oder als „Ausrede“ für bestimmtes Verhalten dargestellt? Bei affektiven Störungen würde man doch so etwas auch nicht tun. Z.B. bei Depressionen oder depressiven Störungen.

Und da habe ich möglicherweise einen Interessanten Zusammenhang:

Häufig wird ja ADHS auch in der Literatur (auch von Profis) als Abweichung der Normvariante dargestellt, womit ich auch völlig fein bin. Wir sind impulsiver und weniger aufmerksam als der „normale Durchschnittsmensch“. Was ja an sich erst mal nichts Schlimmes ist.

So, nun gibt es aber genug Menschen, die auch impulsiv und wengier aufmerksam sind und keine ADHS Diagnose haben. Ja, und dafür gibt es ja auch die Diagnosekriterien. Und dazu kommt es eben auch noch, dass auch ein Leidensdruck gebraucht wird, zusätzlich zu der Erfüllung der Diagnosekriterien.

Aber jetzt laufen trotzdem entweder diagnostizierte ADHSler oder Profis durch die Gegend, die sagen: „ADHS hat nicht nur negative, sondern auch viele positive Seiten.“ Und das irritiert mich extrem. Weil nochmal zur Erinnerung: Ohne Leidensdruck keine Diagnose und ohne Diagnose auch kein ADHS, weil sonst könnte sich ja jeder selbst diagnostizieren, wie er oder sie lustig ist.

Was mich zu der nächsten logischen Folgerung bringt:

Ohne Leidensdruck, keine Diagnose.

Ohne Diagnose, kein ADHS.

Also: → Ohne Leidensdruck kein ADHS.

Oder kann man ADHS auch haben, ohne daran zu leiden? Und wenn das geht, wieso ist dann ADHS eine Störung? Wieso gibt es das dann überhaupt als Diagnose? Wäre es dann nicht viel sinnvoller, ADHS bei klinisch relevanten Fällen einfach in seine Einzelteile zu zerbröseln und diese zu behandeln? Wäre das nicht eigentlich bei jedem Syndrom sinnvoller? Oder wäre dann alles auf einmal so komplex, dass man garnicht mehr wüsste, wo man bei jedem Patienten anfangen oder aufhören soll?

Woher kommt also dieses „ADHS hat nicht nur negative, sondern auch viele positive Seiten?“

Möchte man in diesen Fällen betroffenen hauptsächlich Mut schenken, weil ADHS in den allermeisten Fällen sich nicht verwächst, wie man ursprünglich dachte?

Aber erkennen die Menschen auch nicht, dass das Romantisieren des Störungsbildes von ADHS auch massive Schäden wie Entvalidierung bei ADHS-Betroffenen anrichtet?

Weil man ihnen auch Ihr Leid dadurch abspricht. Weil man ADHS genau zu der „Modeerkrankung“ macht, welche ADHS in den Köpfen extrem vieler Menschen ist?

Einem Menschen mit einer rezidivierenden Depressiven Störung sagt man ja auch nicht: „Deine Störung ist zwar scheisse, hat aber auch viele Vorteile“

Da sagt man doch auch eher: „Ja, die Störung ist an und für sich scheisse. Aber wenn du dran arbeitest, in Therapie gehst und dich richtig drum kümmerst, dann kannst du immer noch sehr viel aus deinem Leben machen. Du musst deine Ressourcen nutzen aber auch deine Störung als solche und als einen Teil von Dir erkennen, das kannst du nicht ignorieren. Aber diese Störung alleine definiert dich nicht als Person.“

Wieso hört man sowas viel seltener als ADHSler als wenn man eine andere Störung hat?

Für Kontext: Ich habe sowohl ADHS als auch eine rezidivierende depressive Störung diagnostiziert bekommen. Aber mal ganz ehrlich, aus meiner eigenen subjektiven Wahrnehmung: Beides ist ziemlich scheiße. Ich würde garnicht sagen das eine mehr als das Andere. Aber das Feedback, wenn ich sage, dass ich ADHS oder eine rezidivierende depressive Störung habe, ohne beides gleichzeitig zu erwähnen (und vor allem, dass die rezidivierende depressive Störung vermutlich als Folge des ADHS entstanden ist) Dann bekomme ich in ca. zu 80 % das Feedback, wie ich es oben beschrieben habe.

Und ich glaube, dass das genau deshalb so ist, weil ADHS in der breiten Bevölkerung nicht als klinisch relevante Störung sondern als Ausrede, Abweichung von der Norm oder sonst was gesehen wird. Und durch dieses „ADHS hat nicht nur negative, sondern auch viele positive Seiten“ wird das immer weiter bestärkt.

Ihr könnt ja gerne dazu schreiben, was ihr darüber denkt und könnt mir gerne sagen, ob ich irgendwo grobe Logikfehler drin habe oder ob ich vielleicht etwas mehr negative Erfahrungen mit Entvalidierung als ihr gemacht habe. Weil das ganze habe ich jetzt aus meiner Perspektive verfasst. Aber muss ja bei weitem nicht bedeuten, dass es so stimmt.

Und sorry, dass ich so oft „auch“ verwende, ich versuche es zu reduzieren, aber ich will jetzt auch nicht jedes „auch“ raussuchen und löschen müssen… :sweat_smile:

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Na ja, ADHSler haben ja auch positive Eigenschaften, vielleicht ist das gemeint. Ich verlinke mal eine Seite vom ADHS Ratgeber. Wann kann ja positive Eigenschaften haben und trotzdem unter den negativen leiden.

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Mein erster Impuls ist, dass auch Depressionen von vielen Leuten nicht ernst genommen und als Ausrede gesehen werden.
Speziell dann, wenn man es den Betroffenen nicht anmerkt, was ja sehr häufig der Fall ist, wenn man nicht gerade sehr viel Zeit mit ihnen verbringt

Die positiven Seiten oder neudeutsch Benefits von ADHS suche ich bei mir noch … :face_with_peeking_eye:
Da ich leider nicht mal kreativ bin, ist das echt schwierig.
Ich denke manchmal, ich bin für diese Welt, konkret für diese Gesellschaft, in der ich lebe , nicht gemacht

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Ja, das steht außer Frage.

Aber oft ist es mir untergekommen, dass eben diese positiven Eigenschaften der PERSON eben dem STÖRUNGSIBLD ADHS zugeordnet werden.

Richtig, ich meinte garnicht, dass man mit ADHS oder Depressionen keine positiven Eigenschaften haben kann. Aber dann kommen die positiven Eigenschaften auch nicht von der Störung (so wie es manchmal bei ADHS rüberkommt).

Ich glaube, man muss ja auch ein bisschen unterscheiden, für wen sind denn die Eigenschaften positiv oder negativ?
Das störungs Bild ist ja überhaupt erst dadurch entstanden, dass vorwiegend kleine Jungs als störend aufgefallen sind, sei es in der Familie oder in der Schule.
Mist, ich glaube, ich bin schon wieder zu unkonzentriert, um beim roten Faden zu bleiben

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Stimmt auch, da hast du Recht. Depressionen werden in der breiten Bevölkerung auch bei weitem nicht Ernst genug genommen.

Auch das stimmt. Irgendwann denkt man sich vielleicht: „ja, die Person ist vielleicht etwas ruhiger, etwas lustloser etc.“ und übersieht das Ausmaß des Problems oder ignoriert es sogar :confused:

Fühl dich gedrückt :blush:
Ich versuche inzwischen garnicht mehr „die positiven Seiten meines ADHS“ zu finden.
Ich versuche die positiven Seiten von mir zu finden und damit geht es mir deutlich besser.

Weil auch wenn wir Diagnosen haben.
Die Diagnosen sind nicht wir und wir sind nicht nur unsere Diagnosen.

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Ganz ganz wichtig!
Vergesse ich derzeit manchmal…

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Sehr guter Punkt! Die Unterscheidung habe ich z.B. übersehen.

Oder auch „Welche Bedinungen müssen in der Umwelt eintreffen, damit die positiven Eigenschaften auch einen Benefit für den oder die Betroffene haben?“

Nur so als Beispiel: „Wenn man hauptsächlich von unehrlichen und egozentrischen Menschen umgeben ist, dann wird ei Eigenschaft „Ehrlichkeit“ auch kein ein Benefit für den oder die Betroffene sein.“

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Dazu passt eigentlich gut dieser Artikel den Mythria gepostet hatte.

Ich frage mich ob es überhaupt sonst eine körperliche oder psychische Diagnose gibt wo man sagt , sie habe auch Vorteile ?

Ich bin da auch immer hin und her gerissen was die Vorteile betrifft, also was das positive an ADHS ausmacht.?
Der Preis trotz aller „Vorteile“ bleibt ja trotzdem immer noch mein Krankheitswert und meine Einschränkung im Alltag.
Aber angenommen ich könnte ganz von ADHS geheilt werde, was wäre dann weg? Wie wäre ich dann?
Mal angenommen alle Menschen mit ADHS könnten von ADHS geheilt werden , wie wäre unserer Welt dann?
Mal angenommen man macht gleich den GEN-Test im Mutterleib und macht einen Schwangerschaftsabbruch.
Was wäre wenn keine Menschen mehr mit ADHS auf die Welt kommen würden?

Ein Aspekt von ADHS ist sicherlich , dass der Krankheitswert aus den aktuellen Anforderungen unsere Zeit resultiert.

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Da kommt es wahrscheinlich auf die Sichtweise an.
Ich bin zum Beispiel der Überzeugung, dass ein sehr großer Teil der sehr erfolgreichen Menschen ausgemachte Narzisten sind
Als empathisch, fair spielender Mensch ist die Chance, reich und oder berühmt zu werden, sicher sehr gering.
Für diese Menschen hat ihr Narzissmus also sicherlich einen Vorteil gebracht. Ob das andere so sehen können, sei mal dahingestellt….

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Erst mal vielen Dank euch allen für eure Antworten und eure Teilnahme an dem Thema!
Die Artikel, die Mythria gepostet hat werde ich mir durchlesen:) Auch hier nochmal danke für den Link @Nelumba_Nucifera .

Ich weiß inzwischen auch wieder, wann mir diese Gedankengänge das erste Mal aufkamen.

Ich hatte die folgenden Videos von Russel Barkley angeschaut(sind zwei Teile zu dem gleichen Thema):

Is ADHD Good for Something? ADHD as an Adaptation - Part I

Is ADHD Good for Something? ADHD as an Adaptation - Part II

War zwar mit der ADHS-Diagnose ein bisschen ein Schlag ins Gesicht, aber ich kann auch nicht sagen, dass der Mann unrecht hat. Zumindest was mich betrifft.
Und Russel Barkley ist ja auch ein richtiger ADHS-Veteran.

Da kamen kurze Ängste und Erinnerungen an diesen Thread zurück :sweat_smile:

Ich sprech mal nur für mich, ich hab ja auch noch rezidivierende Depressionen und eine PTBS/Traumafolgestörungskram:
Angeboren ist bei mir ja nur das ADHS, das habe ich ja nicht durch irgendwas mit 13 erworben. Also meine Art zu denken, fühlen und wahrzunehmen war immer gleich und ich kenne mich nur so. Bei Depressionen etc. ist das ja nicht so, das erlebt man als nicht zugehörig zu sich. Für mich ist das ADHS wie verwoben mit meiner Persönlichkeit, weil es vermutlich zeitgleich auf diese Welt kam.

Deshalb ist es für mich hilfreich, ADHS nicht nur als Störung zu sehen sondern als Abweichung, die auch (auch!) positive Seiten hat. Die negativen überwiegen eindeutig. Ich rede wirklich nur von mir!
Es hilft mir einen besseren Umgang damit zu finden.

Den Depressionen und der PTBS kann ich beim besten Willen gar nichts positives abgewinnen :woman_shrugging:t3:

Edit: Ich habe solche Sprüche/Invalidierungen auch schon zu allen anderen psych. Störungen gehört. Also da ist echt niemand besser dran, was die Außenwahrnehmung angeht. Als Depressiver soll man mal ein Eis essen gehen und mit Trauma soll man einfach drüber hinweg kommen.

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Hi @Zoi , danke für deine Antwort!

Da ist wirklich viel guter Input drin, ich bin voll auf deiner Seite.

Da triffst du es eigentlich perfekt. Auch wenn in der Diagnose das Wort „Störung“ vorkommt oder auch sonst gebraucht wird, ist es vielleicht für einen selbst hilfreicher, das nicht allzu wörtlich zu nehmen.

Auch UlBre hatte in einem anderen Beitrag mal erwähnt, dass ADHS strenggenommen ein Syndrom und im wörtlichen Sinne keine Störung ist, das fand ich auch deutlich treffender.

War wahrscheinlich wirklich so ein Ding, dass ich mich an dem Wort Störung aufgehangen habe…

Und ja, Stigmatisierungen und Entvalidierungen treffen vermutlich auch bei viel mehr psychischen Störungen auf, als mir bisher bewusst war. Nur weil man selbst nicht alles hat, heißt es ja nicht, dass andere, die mit diesen Störungen leben nicht dafür stigmatisiert oder weniger stigmatisiert werden, wie ich es ja ursprünglich fälschlicherweise angenommen habe.

Diese positiven Eigenschaften konnte ich leider nicht finden bzw. würde ich meine positiven Eigenschaften auch lieber mir selbst als meinem ADHS zuordnen. Aber da können ja auch die Meinungen auseinander gehen.

Zu deinem Edit: Ja stimmt, es wird eigentlich alles quer durch die Bank stigmatisiert was es so an Krankheiten gibt.

Daher:
An der Stelle auch ein großes Sorry an alle, die sich durch meine subjektive Meinung vielleicht in ihrem eigenen Störungsbild entvalidiert gefühlt haben. Falls das passiert sein sollte, war das nicht meine Absicht.
Ich war einfach sehr frustriert die Situation was ADHS und Stigmatisierung angeht und hab dann zu sehr verallgemeinert. Wieder gehandelt ohne mal lang genug nachzudenken. Da muss ich mich auch mal etwas mehr ausbremsen…

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Dann lasst uns das doch mal durchdeklinieren. Vielleicht macht es das dann klarer.
Was sind die Vorteile von…

Depression

  • weniger aggressiv

Angst

  • erhöhte Vorsicht

Zwänge

  • erhöhte Sorgfalt
  • erhöhte Reinlichkeit (Waschzwang)

Was ist bei ADHS anders?
ADHS-Symptome sind deckungsgleich mit denen von schwerem (chronischem) Stress (auch wenn die Ursache unterschiedlich ist). Die Deckung entsteht auf der Symptomebene (Syndrom), nicht auf der Ursachenebene (Störung).
Stresssymptome haben einen Nutzen. Sonst gäbe es diese Symptome nicht bei Stress. Der Nutzen ist eine erhöhte Überlebensfähigkeit bei der Bekämpfung eines Stressors.

Was ist der Unterschied zu Angst, Depression, Zwängen? Dort sind einzelne Stresssymptome (Sorgfalt, Aggressionsverringerung, Vorsicht) dysfunktional geworden. Sie helfen bei nix, sondern belasten und erschweren das Leben.

ADHs ist deshalb belastend, weil es keinen Stressor gibt. Gibt es einen, sind sie vorteilhaft. Der berühmte ADHSler, der in einer Notsituation ganz cool funktioniert, während andere den Kopf verlieren.

Fein. Aber ist ADHS deshalb nützlich?
Nein, weil auch Nichtbetroffene diese Symptome bekommen, wenn ein entsprechender Stressor auftaucht und lang und schwer genug wirkt.
Bei Nichtbetroffenen verschwinden die Symptome mit dem Stressor wieder, bei ADHS bleiben sie.
ADHS ist eine Regulationsstörung der Stresssysteme. Und zwar ganz allgemein auf der Symptomebene und (getrennt davon) im Einzelfall auch auf der Störungsebene.*
Wo ist da der Vorteil?

Für mich klingt das wie Hohn. Hohn von Leuten, die erst nicht genau genug hinschauen, um ADHS zu verstehen. Eine Mischung aus Mansplaining und Gaslighting. Ich würde es ADHSlighting nennen.

(*)Ganz eindrücklich zeigt sich das übrigens am Tiermodell der SHR (Spontaneously Hypertensive Rat) dem meistgenutzten Tiermodell für ADHS. Diese Tierchen haben eine überaktivierte HPA-Achse (Stressachse). Mit Dexamethason (einem Corticoid, dass die HPA-Achse abschaltet) haben diese Tierchen auf einmal weder erhöhten Blutdruck im Alter, noch ADHS-Symptome.

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Danke für deine Antwort @UlBre .

Mit meinen Worten wollte ich auf etwas ähnliches heraus, allerdings war ich (mal wieder) etwas zu impulsiv und hab dann auch leider noch andere Störungsbilder mit reingezogen, wo ich im Nachgang realisiere, dass das vielleicht garnicht nötig gewesen ist wäre, um meine Kernaussage zu stützen:

ADHS schönzureden oder gar als Vorteil darzustellen bringt nicht wirklich was. Vor allem nicht den Betroffenen. Vielleicht nutzt es am ehesten noch den Leuten, die ADHS als nicht erzunehmendes Störungsbild darstellen möchten.

Weil ich gehe stark davon aus, dass diese positiven Seiten von ADHS eben positive Charaktereigenschaften sind, die auch oft Menschen ohne ADHS aufweisen können. Aber dann sollte man diese positiven Eigenschaften auch an ADHSlern würdigen bzw. zu schätzen wissen. Wie man es auch bei anderen Menschen tut. Und nicht auf ADHS schieben.

Weil wenn man das Spiel zuende spielen würden, dann wäre eh jeder ADHSler nur noch sein ADHS und die Merkmale, die mit dem ADHS eingehen und keine individuelle Person (jetzt mal ganz überspitzt dargestellt).

Und genau so würde man Menschen auf ihre Diagnose reduzieren. Was leider vorkommt.
Aber ich finde das persönlich echt schlimm.

Edit:

Den Begriff „ADHSlighting“ könnte man doch irgendwie mal einführen in dem Kontext, oder? :sweat_smile:

Nein, ohne Leiden keine Störung.

Das Problem: ADHS hat man lebenslang. Aber nicht Jede/r Betroffene hat lebenslang eine ADHS mit Leidensdruck. Manche ADHS-Kinder kommen als Erwachsene gut ohne Behandlung zurecht, und manche ADHS-Erwachsene hatten als Kind keine Beschwerden.

Es gibt Erwachsene, die erst auffällig werden, wenn sie sich als Student/in organisieren müssen. Oder erst wenn sie Beruf, Haushalt und Familie unter einen Hut kriegen wollen. Und wenn sie an schlechte Diagnostiker geraten, wird ihnen die ADHS abgesprochen, weil ja keine Auffälligkeiten im Kindesalter festgestellt werden können.

Es gibt diese Auffälligkeiten zwar, wenn man genau nachfragt. Aber es sind oft Auffälligkeiten ohne Krankheitswert. Und wenn dann noch dazu kommt, dass man zu den ADHS-lern gehört, die sich nur sehr schlecht an ihre Kindheit erinnern, und Eltern oder Geschwister nur bestätigen, wie brav man war, kriegt man ein Problem.

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Genau. Dann heißt es (noch) nicht ADHS, weil es von der dimensionalen Intensität nicht das Level erreicht, um Störungsqualität zu erreichen.

So das bisherige Bild. Es gibt aber immer mehr Studien, die das infrage stellen, Stichwort. Late onset ADHS. Bislang ist noch offen, was rauskommt.
Oder das, was Andreas erlebt hat: ADHS durch chronische Stickoxidvergiftung.

Führt letztendlich zur Frage, ob ADHS ein Syndrom ist (ich meine ja), was sich dadurch definiert, dass verschiedene Störungen (= Ursachen) mit den gleichen Symptomen zeigen (Syndrom), und man noch nicht so weit ist, die hunderten verschiedenen Störungen auseinanderzufieseln. Da leidet die Medizin an einem Definitionskurzschluss.
Wenn eine Ursache erkannt ist (Enzephalitis, Stickoxidvergiftung, schwerer chronischer Stress), ist es dann noch ADHS? Meines Erachtens ja, weil ADHS ein Syndrom ist (= Definition anhand der Ursachen).
Relevant wird das da, wo Leute eine Störung erkennen und dann auf einmal meinen, ADHS-Medikamente (die ja rein auf der Symptomebene ansetzen) seinen nun unpassend. In meinem Weltbild bleibt auch eine erkannte Störung, die ADHS-Symptome verursacht, ADHS. Nur kann man ein Syndrom nicht auf die gleiche Ebene einer Störung packen, wie es das DSM tut (z.B.: Fetales Alkoholsyndrom: da ist die Ursache klar. Insofern ist es nach meinem Verständnis gerade kein Syndrom, sondern eine Störung… seufz…). Rund die Hälfte der Fetales-Alkohol-Syndrom-Betroffenen haben auch ADHS-Symptome.
Ich würde es „Fetale-Alkohol-Störung mit ADHS-Symptomen“ nennen.
Warum das wichtig ist? Weil es die ganze Diskussion hier prägt. Und auch die Behandlung. Weil eine fehlende Unterscheidung zur Frage führt „Darf man FAS-Betroffene mit ADHS-Medikamenten behandeln, obwohl sie doch ein andere Störung haben?“. Die Frage an sich ist falsch, weil Störung und Syndrom durcheinandergewürfelt werden.

Aber vielleicht kann mir ja jemand aus der Klemme helfen, das besser zu verstehen.

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Ich habe das jetzt mal bei ADxS.org aufgenommen.

10. Irrtum: “ADHS hat auch viele Vorteile” (ADHSlighting)

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Die Beschreibungen von Vorteilen von ADHS nennen wir ADHSlighting , eine Mischung aus Mansplaining und Gaslighting.

Eigentlich solltest du schreiben „nenne ich“ und nicht „nennen wir“.

Oder vielleicht auch überhaupt mal schreiben wer mit „wir“ gemeint ist. :thinking:

Aber das nur so am Rande.

Ich bin da in vielem anderer Meinung und sehe es auf jeden Fall eher so wie Lachenmeier!

ADHS - als eine genetisch bedingte Funktionsweise mit Vor- und Nachteilen.

Der Begriff ADHS/ADHD fokussiert zu sehr auf zwei möglichen, besonders auffälligen Symptomen. Er suggeriert zu Unrecht, dass ein generelles Defizit der Aufmerksamkeitsfähigkeit vorliegt. Eine ausschliesslich auf einzelne Symptome ausgerichtete Diagnostik ist wenig sinnvoll.

Besser wäre es, diese genetische Kondition nicht mit „ADHS = Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivitätsstörung“ zu bezeichnen,
sondern mit „UMIF = Unusual Management of Informations and Functions“.

Nicht alle Menschen mit ADHS/ADHD leiden darunter

Viele

ADHSler führen ein erfolgreiches und überwiegend zufriedenes

Leben.

ADHS/ADHD – Dr. med. Heiner Lachenmeier
Ein guter Teil der Schwierigkeiten von Menschen mit ADHS resultiert nicht direkt aus der genetischen Kondition, sondern dadurch, dass weder sie selbst noch das Umfeld die unterschiedlichen Funktionsweisen kennen. So entstehen Missverständnisse, Eskalationen und Fehlentwicklungen.

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Hi @Justine , ich verstehe deine Argumente.

Ich denke, dass es hier im Zentrum der Disskussion tatsächlich ein Problem mit dem Wording gibt.

Ich versuche mal zu erklären was ich meine:

ADHS als mit Leidensdruck als ausschlaggebendes Kriterium für die Diagnose und damit auch Hilfe vom Gesundheitssystem:
→ Nennen wir hier alle ADHS

ADHS als Variante der Norm mit positiven und negativen Seiten:
→ Nennen wir auch ADHS

Wo ist jetzt aber die Unterscheidung?

Das eine ADHS ist eine klinisch relevante Störung, wo ich mit der Diagnose keine Berufsunfähigkeitsversicherung mehr bekomme. Zudem ist der Leidensdruck für die Diagnose eben auch essentiell (Ist mir genau so 1:1 passiert, hätte ADHS als Auschlusskriterium nehmen müssen, aber das wollte ich nicht).

Zum anderen haben wir ADHS als Abweichung von der Norm, was selbstverständlich auch Leidensdruck mit sich bringen kann, aber auch positive Seiten. Und viele Menschen können auch ohne Therapie und Medikamente damit klarkommen? Wieso möchte mann dann auch dieses Bild von Symptomen als ADHS oder Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivitätsstörung bezeichnen, wo eine Störung doch etwas ist, das mit Leidensdruck eingeht, diagnostiziert und behandelt werden muss, um diesen Leidensdruck abzubauen.

Und jeder Mensch leidet im Leben. Aber eine Störung wird es nach meinem Verständnis dann, wenn dieser Leidensdruck eben klinisch relevant ist, also Behandlung her muss.

Wieso wird dann also die Abweichung von der Norm, die nicht behandelt werden muss, auch als ADHS ergo als Störung betitelt? Kann das Sinn machen?

Spricht man damit nicht Menschen das Leid ab, die sich mit dieser Störung in Behandlung befinden?

Analog könnten ja auch Menschen mit traurigen Verstimmungen von sich behaupten, dass sie depressiv sind oder wenn das öfter vorkommt, dass sie eine rezidivierende depressive Störung hätten etc.

Wo fängt dann eine Störung an und wo hört sie überhaupt auf?
Ich denke dann, wenn das Leid durch die Symptome genug Leidensdruck erzeugt, dass eine Behandlung und deshalb auch eine Diagnose nötig ist.

Und so sehe ich das auch bei ADHS. Leute die aktiver, hibbliger und vergesslicher sind als der Durchschnitt sollten sich deshalb auch nicht selbst als ADHSler bezeichnen oder so tun, „als ob sie es sicher hätten, aber sie kommen schon damit zurecht“. Das ist für mich nicht Leidensdruck. Da gibts auch keine Diagnose, weil die Menschen ja selbst sagen, dass sie damit zurecht kommen. Das ist dann für mich kein ADHS.

Und weil ADHS so sehr mit dem Leidensdruck verbunden ist, finde ich es eben falsch zu sagen, das ADHS auch schöne Seiten mit sich bringen kann.

Ich würde sagen: Menschen mit ADHS können auch schöne Seiten haben, die sie defnitiv als Ressource nutzen sollten.

Zu dem Beispiel von Heiner Lachenmeier:
Ich bin mir nicht sicher, ob das Heiner Lachenmeier tatsächlich als „Vorteil von ADHS“ darstellen möchte.

Weil darauf, dass bei ADHS situative Vorteile gegenüber „Normalen Menschen“ (Was ist das überhaupt?) bestehen, kenne ich sehr gut von mir selbst. Z.B. wenn ich in einer stressigen Situation bin und dann auf einmal einen viel klareren Kopf habe. Hat @UlBre auch in dem Verlinkten Artikel erwähnt:

Ist das also eine positive Eigenschaft, die von meinem ADHS kommt?
Möglicherweise. Aber die Eigenschaft kann auch jemand haben, der eine besonders hohe Stresstoleranz hat.

Und diesen anderen Menschen mit hoher Stresstoleranz zerfressen dann aber nicht die Unruhen von innen, wenn mal weniger los ist. So ist es aber bei mir.

Deshalb frage ich mich: Muss ich jetzt dafür dankbar für mein ADHS sein, dass ich in wenigen Ausnahmesituationen n klareren Kopf habe, als die meisten anderen, aber dafür in den allermeisten „normalen“ ruhigen Situationen, die viel häufiger präsent sind, mehr leide?

Daher kann ich mich höchstens damit anfreunden zu sagen:
ADHS hat situative Vorteile, die gibt es.
Aber Global, auf mein ganzes Leben und auch auf meine gesamte Persönlichkeit gesehen erzeugt ADHS viel mehr Probleme als Vorteile.
Und da kann ich mein ADHS auch nicht mit situativen Vorteilen schönreden. Und Menschen ohne ADHS sollten das dann schon gleich garnicht tun. Weil die wissen nicht, was wir durchmachen.

Und wenn Menschen meinen, dass Ihr ADHS eine großartige Ressource, die sie so gut nutzen können und sie deshalb viel kreativer und produktiver sind, als andere und der Leidensdruck garnicht so schlimm ist, dann muss ich sagen: Diese Menschen sollten vielleicht auch mal überlegen, ob sie vielleicht garkeine klinisch relevante Störung haben, sondern viel eher ein Persönlichkeitsprofil, das in den Symptomen ADHS ähnlich ist, aber nicht die Kriterien einer Störung (aka ADHS) erfüllt.

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