Durch meine eigenen Erfahrungen, die Erfahrungen und Erklärungen von anderen sowie die Beschäftigung mit der Literatur und auch mit den Inhalten der Seiten von ADxS.org - und natürlich auch meiner beruflichen Auseinandersetzung mit pharmakologischen Themen - sind mir nach und nach Dinge bezüglich Elvanse klar geworden, die ich anfangs nicht wusste oder aufm Schirm hatte.
Vielleicht sind meine Überlegungen auch für andere hilfreich - oder vielleicht gibts noch andere Aspekte, die ich noch nicht so auf dem Schirm habe?
Vor allem die längere Halbwertszeit als bei MPH und die für mich (vielleicht individuell) schmalere Breite haben Auswirkungen, die ich zuvor nicht bedacht hatte. Sowie die möglichen negativen Wirkungen durch eine zu geringe Dosis.
1. Unterdosierung kann sehr unangenehm sein und teilweise unangenehme Wirkungen verursachen, welche man ohne das Medikament nicht hat.
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*Mein eigener erster Versuch der Eindosierung mit Elvanse ist deshalb leider sehr unglücklich verlaufen - besonders, weil ich mich nicht an die empfohlene Initialdosis von 30 mg gehalten hatte. Ich dachte, niedriger und kleinschrittiger zu dosieren wäre „sicherer“ - das war leider ein Trugschluss.
*zuletzt thematisiert in diesem Thread:
Elvanse - Recht starke Nebenwirkungen obwohl nur 10mg - #13 von Justine
meine Geschichte - wie der Versuch mit niedrigen Dosierungen negative Folgen hatte
Ich begann mit einer Dosierung von 10 mg – und tatsächlich nahm ich die Wirkung schon am ersten Tag sehr positiv wahr! Am zweiten Tag allerdings bereits nicht mehr. Auch 15 mg und 20 mg waren nicht angenehm. Ich wurde eher müde, konnte jedoch trotzdem nachts schlecht schlafen. Hatte Albträume, Ängste, fühle mich depressiv. Dann bin ich von 20 mg direkt auf 30 mg gegangen. Der erste Tag mit 30 mg war dann wieder angenehm! Dann wurde es allerdings wieder sehr unangenehm. Ich wollte es trotzdem durchziehen, eine Woche 30 mg! Es war schrecklich. Vor allem hatte ich furchtbare emotionale Symptome. Nach der Woche habe ich aufgegeben, ich konnte nicht mehr.
Dann hatte ich wieder viel im Forum und auf der Seite von ADxS gelesen. Ich las auch, dass es Betroffene gab die nur 3 mg am Tag benötigten. Nach einigen Tagen Pause dachte ich, das könnte Ich nochmal versuchen!
Und? Diese Minidosis von 3 mg war schlimmer als alles was ich vorher versucht hatte!! Und die unangenehme Wirkung hielt bis zum nächsten Mittag. Da war mir klar – wenn ich schon eine so kleine Dosis nicht vertrage – müssten höhere Dosierungen noch wesentlich schlimmer sein. Für mich war klar, Elvanse ist unberechenbar und auf jeden Fall nicht mein Medikament.
Im Laufe des Jahres habe ich mich auch aufgrund meiner Ausbildung mit der Pharmakokinetik von Sympathomimetika beschäftigt und mir wurde klar, das subtherapeutische Dosierungen doch sehr negative Auswirkungen haben können.
Im Oktober startete ich einen neuen Versuch mit den empfohlenen Dosierungen. 30 mg Initialdosis, kurz steigerte ich erst auf 40 mg, dann auf 50 mg. Einen Vorteil hatte ich erst mit 50 mg. Dann blieb ich eine Weile bei 60 mg und bin aktuell bei 70 mg. Durch eine Ergänzung mit Attentin bin ich ganz gut abgedeckt.
The End of the Lied bzw mein Fazit: der in der Fachinformation empfohlene Weg mit den zugelassenen Dosierungen ist „sicherer“!
- „Unterdosierung“ ist individuell - für den einen kann 30 mg schon eine Überdosierung bedeuten, für den anderen sind 50 mg eine Unterdosierung
- Unterdosierung kann zu negativen Effekten führen - muss aber nicht! Viele haben scheinbar gar keine negativen Effekte sondern „nur“ eine ausreichende Symptomkontrolle. Vermutlich gilt das sogar für die meisten? Ich weiss es nicht.
- (individuell) subtherapeutischen Dosierungen können paradox wirken
2. Elvanse hat eine deutlich längere Halbwertszeit als MPH mit wichtigen Auswirkungen:
- MPH hat eine HWZ von 2-4 Stunden, Lisdexamfetamin hat eine HWZ von 1 Stunde - da LDX allerdings zu Dexamfetamin umgewandelt wird und Dexamfetamin eine HWZ von 10-13 -Stunden hat ist die relevant!
*“Etwas von Elvanse wirkt noch 2-3 Tage - Relevanz der HWZ
Erklärung, warum Elvanse noch am nächsten und übernächsten Tag nachwirkt
Schon bei meinem ersten Eindosierungsversuch mit besonders kleinen Dosierungen hatte ich das Gefühl, dass am nächsten Morgen nach Einnahme - also nach 24 Stunden immer noch etwas wirkt. Ich dachte erst - kann doch nicht sein, solange wirkt Elvanse ja gar nicht. Ich hatte aber nicht bedacht, das die HWZ soooo lange ist. Das heißt natürlich, dass Elvanse erst nach ca 3 Tagen aus dem Körper eliminiert ist und so lange auch noch „etwas“ wirken kann. Wenn man wie ich, besonders sensibel auch auf kleine Dosierungen reagiert bedeutet dies - man befindet sich 3 Tage im Rebound mit sehr unangenehmen Wirkungen.
- steady State erst nach 3-5 Tagen - dauert viel länger als bei MPH - das muss man während der Eindosierung berücksichtigen!
Erklärung zum Konzept der HWZ und Steady State
*Hier hatte ich dies schon erklärt. Das Prinzip Halbwertszeit und steady state - hab’s gerade woanders erklärt, falls es nicht so klar ist:
Da muss man erstmal verstehen was die Halbwertszeit ist:
Wenn die Halbwertszeit eines Medikaments 11 Stunden beträgt: Nach 11 Stunden bleibt die Hälfte des ursprünglichen Wirkstoffs im Körper. Nach weiteren 11 Stunden bleibt wiederum die Hälfte der verbliebenen Menge übrig. Das setzt sich fort, sodass nach 22 Stunden etwa ein Viertel des ursprünglichen Wirkstoffs im Körper ist.
Der „steady state“ ist der Punkt, an dem die Menge des aufgenommenen Medikaments stabil bleibt, weil die Aufnahme und der Abbau im Körper ausgeglichen sind.
Bei Elvanse dauert es etwa 3-5 Tage, bis der „steady state“ erreicht ist. Das bedeutet, dass nach dieser Zeit die Menge des Medikaments im Körper stabil bleibt, und es seine volle Wirkung entfaltet.
Bildlich lässt er sich mit einem Brunnen veranschaulichen, dem pro Zeiteinheit dieselbe Menge Wasser zugeführt wird, die ihn durch den Abfluss verlässt. Das Wasserniveau bleibt dabei immer gleich. Man spricht von einem Fliessgleichgewicht. Die Wirkstoffaufnahme entspricht im Steady-State der Wirkstoffelimination.
https://www.pharmawiki.ch/wiki/index.php?wiki=Steady-State
- auch hier gut erklärt: Verzweifelt bzgl. Eindosierung (Elvanse) - #86 von philippnoe
steady state im Video erklärt
3. LDX (Elvanse) lässt sich nicht so einfach pausieren wie MPH und deshalb auch nicht so gut nur bei Bedarf nehmen.
- Das ergibt sich ebenfalls aus der längeren Halbwertszeit!
- Dies bedeutet, das es nicht so einfach ist, Elvanse zu pausieren. Wenn man Elvanse pausiert, hängt man oft 2-3 Tage in den Seilen, bevor mal wieder „die alte ist“, da Elvanse eben auch so lange benötigt, bis es abgebaut ist und die niedrige Konzentration quasi ein verlängerter Rebound ist. Es ist allerdings individuell, ob man dies spürt oder nicht.
Thread zum Thema Elvanse pausieren
4. Elvanse kann individuell eine schmale therapeutische Breite haben.
- Das bedeutet, 5 - 10 mg mehr oder weniger kann einen relevanten Unterschied machen
- Wenn man auf „zu wenig“ oder „zu viel“ negativ reagiert ist das sehr wichtig.
- Basierend auf den Ergebnissen der Zulassungsstudien für LDX liegt die therapeutische Breite, innhalb derer die meisten Patienten eine wirksame und gut verträgliche Dosis finden, zwischen 30 u. 70 mg/d. Da „die meisten“ aber nicht alle sind - gibt es individuell auch Betroffene die da drunter oder drüber liegen.
- Die Dosis Wirkungsbeziehung verläuft nicht linear und ist individuell. So kann man mit einer niedrigen Dosierung NW oder Wirkungen haben, die man mit höherer Dosierung nicht mehr hat und umgekehrt.
5. Wie kann man überhaupt Nebenwirkungen differenzieren - ob diese durch eine Unterdosierung oder Überdosierung verursacht werden?
- Durch „try and error“
- durch den Austausch mit anderen! Und sehr hilfreich waren für mich auch immer die Beschreibungen der Symptome von anderen - da mir auch häufig die richtigen Worte fehlen.
Zum Beispiel in diesem Thread (es wäre hilfreich, wenn auch noch andere dort ihre Symptome ordentlich aufschreiben):
6. Überlegungen / Ideen, warum Stimulanzien überhaupt UAW (unerwünschte Arzneimittelwirkungen) verursachen können, wenn sie „zu niedrig“ sind - also im subtherapeutischen Bereich:
Mich beschäftigt dieses Thema jetzt schon eine Weile - ich beschäftige mich auch beruflich mit anderen Sympahtomimetika und habe auch Apotheker dazu befragt. Vielleicht finden sich noch andere, bessere Antworten? Auch hier hatte ich schon mal danach gefragt.
Nicht Lineare Pharmakodynamik / unzureichende Neurotransmitter-Regulation / dosisabhängige Wirkungen an den Rezeptoren
Bei Stimulanz (gilt auch bei anderen Medikamenten) ist die Beziehung zwischen Dosis und Wirkung nicht immer linear. LDX wirkt, in dem ich sie Konzentration von Dopamin und Noradrenalin im Gehirn erhöht. Eine subtherapeutische Dosis könnte unzureichend sein um das neurochemische Ungleichgewicht, das bei ADHS vorliegt, effektiv zu korrigieren. Das kann zu einer unvollständigen Stimulation führen, die die Symptome von ADHS nicht angemessen behandelt und stattdessen aber zu unangenehmen Empfindungen führt.
Individuelle Sensitivität und Rezeptor Pharmakologie
Menschen können eine unterschiedliche Sensitivität gegenüber Stimulanzien haben. Bei einigen kann eine geringe Dosis schon eine überschießende Reaktion in bestimmten Neurotransmitter Systemen auszulösen.
Paradoxe Reaktionen
Niedrige Dosen von Stimulanzien können zu paradoxen Reaktionen führen. Die Reaktionen sind nicht vollständig verstanden, können auf die Komplexe Interaktion von Neurotransmitter zurückgeführt werden. Bei mir: zu wenig macht mich müde - etwas mehr macht dann wach.
Anpassung - Rezeptor - Sensitivierung
Bei der Eindosierung / Titration von LDX kann eine niedrige Dosis eine Anpassungphase auslösen, in der der Körper beginnt, sich an das Medikament zu gewöhnen. Diese Anpassung kann bei subtherapeutischen Dosen unvollständig sein und zu stärkeren Nebenwirkungen führen.
Seiteneffekte durch subtherapeutischen Dosierungen aufgrund von Gegenregulation
UAW nennt man auch Seiteneffekte. Der Körper beginnt auch schon bei geringeren Dosierungen mit einer Gegenregulation, die aber durch die zu geringe Dosis nicht mehr kompensiert werden kann. Würde man in höherer Dosierung einsteigen wären diese Seiteneffekte überlagert und die Wirkung würde überwiegen.
Weil es in der Literatur und in den Studien kaum dokumentiert ist, das eine individuell subtherapeutische Dosis zu unangenehmen Wirkungen führen kann - dieses Wissen meiner Meinung nach aber für Betroffene während der Eindosierung sehr wichtig ist - habe ich eine Umfrage forumuliert mittels google Formular.
Hoffe, die Antworten können auch anderen helfen. Und weiter hoffe ich, ich habe sie sinnvoll formuliert: